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Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
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Küssen überrascht hättet?«
    War es nicht auch so? … Hatten wir uns nicht in gewisser Weise geküßt? … Die Antwort von Şeli stand mir indessen in ihrer Schlagfertigkeit in nichts nach.
    »Du bist verheiratet, mein Junge! … Gut, daß wir rechtzeitig gekommen sind …«
    Ich hätte natürlich erwidern können, daß sie ebenfalls verheiratet sei. Doch das tat ich nicht. Sie wirkten so unschuldig und glücklich … Kurz darauf kamen auch die anderen. Necmi und Niso waren wieder in eine hitzige, politische Diskussion verwickelt. Wieder kehrten die Bilder von vor vielen Jahren zurück. Çela und Zafer Bey schienen sich bestens zu unterhalten. Sie lachten zusammen. Was mochten sie einander erzählen? Ich befaßte mich nicht damit. Ich war nicht mehr in der Lage, mich mit irgendeinem Gespräch zu befassen. Inzwischen waren auch wir aufgestanden. Trotz allem waren wir in der Nacht alle auf unsere eigene Weise ein Stück vorwärts gegangen, soweit wir gehen konnten. Es war wieder einmal Zeit zum Aufbruch. Ein weiterer Tag erwartete uns. Wir hatten alle das Bedürfnis, uns etwas auszuruhen, in jeder Hinsicht auszuruhen. Während wir zu den Autos gingen, fand ich Gelegenheit, Necmi ins Ohr zu flüstern: »Dein Vogel will aus dem Käfig fliegen.« Ich hatte genug gesagt. Es blieb ihm überlassen, diese Worte zu verstehen und dann die entsprechenden Schritte zu unternehmen … Doch was Zafer Bey beim Einsteigen in die Autos sagte, gehörte vielleicht zu den wichtigsten Aussagen der Nacht …
    »Ich bitte Sie, mich morgen zu entschuldigen. Es spricht nichts dagegen, daß Şebnem mit Necmi Bey zusammen bei Ihnen ist. Wir alle dürfen die Regeln hin und wieder brechen …«

Umarmen, fliegen und sich einem Gefühl nicht entfremden
    Die Zeit zog uns nun auch zu neuen Spielen hin. Zu neuen Spielen … Damit wir uns selbst und einander besser sehen konnten … Jener Sonntag begann deshalb mit neuen Fragen. Mit neuen Fragen, aber zugleich auch einem Vibrieren, das ganz tief aus meinem Inneren kam … Wahrscheinlich war das so, wenn man sehr aufgeregt ist. Wir hatten beschlossen, uns morgens um zehn Uhr wieder an der Schule zu treffen. Daran hielten sich alle im großen ganzen. Kleine Verspätungen bedeuteten nichts. Der erste Unterschied war, daß diesmal jeder auf seinem eigenen Weg kam, der zweite, daß Zafer Bey Şebnem ein wenig mehr Freiheit ließ, mit eigenen Flügeln zu fliegen. Unterdessen kam auch der Bühnenbildner, den Çela engagiert hatte. Wir beredeten das Nötige mit ihm. Yorgos zeigte sich wieder als äußerst genau. Sein Zuhören, seine Reaktionen und Kommentare bewiesen ganz deutlich, was er durch das Theater gelernt hatte. In Wirklichkeit hatte ihn auch das Leben sehr verändert. Wir standen einem viel ruhigeren Menschen gegenüber, der seinen Zorn weit hinter sich gelassen hatte. Diese Tatsache erkannte ich in diesem Augenblick erneut. Ich wußte allerdings nicht, ob diese Gelassenheit daher rührte, daß er eine Niederlage akzeptierte, oder ob sie vielmehr einen Sieg über das Leben bedeutete. Jener Kampf war offensichtlich vergessen. Zweifellos spiegelte sich seine Haltung auch in dem wider, was er mit Şeli erlebte. Sie kamen miteinander zur Schule. Ich hatte aber immer noch keine Vorstellung davon, was sie wirklich erlebten.
    Dann zogen wir unsere Kostüme an. Wir hatten die Rollen etwas besser auswendig gelernt, und die Kostümprobe verlief noch lustiger und machte mehr Spaß. Wir kamen gehörig in Fahrt. Niso improvisierte wieder aus dem Stand, und seine Einfälle brachten uns alle sehr zum Lachen. Wir beschlossen, diese in unser Stück aufzunehmen, wohl wissend, daß wir uns auf andere unerwartete Situationen und Repliken während des Spiels einstellen mußten …
    Wir wiederholten das ganze ›Stück‹ von Anfang bis Ende zweimal. Dazwischen machten wir eine Pause und besprachen alles, was uns so einfiel … Schließlich sollte auch die eigentliche Absicht nicht zu kurz kommen, wofür das ›Stück‹ nur der Vorwand war, nämlich das Leben zu genießen und beieinander zu sein. Dennoch versäumten wir um der ›Ernsthaftigkeit‹ der Sache willen nicht, eine letzte Planung zu machen. In genau einer Woche würden wir abends vor Publikum auftreten. Wir hatten noch sechs Tage, den Text richtig auswendig zu lernen. Am nächsten Samstag sollte eine weitere Probe stattfinden und am Sonntag morgen noch eine … Niemand durfte seinen Partner auf der Bühne in Schwierigkeiten bringen … Das sagte unser

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