Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
schlimm? …«
Er nickte wortlos. Ich hatte mich an diese Bewegung, die er oft wiederholte, gewöhnt und nichts dagegen einzuwenden, weiter in dieser Weise mit ihm zu sprechen. Doch dieses Mal machte mir seine Bestätigung angst. Inzwischen war es nicht mehr von Belang, ob meine Stimme mein inneres Zittern wiedergab. Meine Sorge brachte mich so weit, daß ich eine unsinnige Frage stellte. Ich zögerte nicht, den Schritt zu tun. Nicht jede Frage mußte logisch sein.
»Lebt sie? …«
Sein Blick löste sich nicht von den Lichtern, die sich im Meer spiegelten. Als könnte er mich nicht anblicken. Was war das für ein Kummer, was für eine Ratlosigkeit? … Seine Worte waren weit entfernt von einer Antwort auf diese Frage. Auch seine Stimme zitterte.
»Ich weiß nicht … Das kann ich irgendwie nicht entscheiden …«
Seine Worte wurden immer geheimnisvoller. Hätte ich geahnt, daß wir zu dieser vorgerückten Nachtstunde an so einen Punkt gelangen würden! Ich zweifelte nicht länger, daß wir an die Schwelle einer sehr dunklen Geschichte geraten waren. Doch ich mußte sie unbedingt erfahren. Ich bohrte in der für uns typischen Weise nach.
»Nun laß einen doch nicht vor Spannung platzen, mein Gott! … Spuck's einfach aus!«
Wieder reagierte er mit bitterem Lächeln auf meine Reaktion. Als wollte er antworten und konnte doch nicht … Als wollte er herausfinden, ob ich bereit war für seine Erzählung … Es war nicht schwer, dieses Zaudern aus seiner Frage herauszuhören.
»Willst du sie wirklich sehen? …«
Meine Besorgnis, meine Spannung wuchsen mit jedem seiner Worte. Es schien, als wären alle meine Schutzwälle nun zerstört. Ich wollte auf kürzestem Weg die Wahrheit erfahren.
»Bist du blöd? … Natürlich will ich! … Ich will sie sehen, verstanden! Wie auch immer! …«
Er wendete sein Gesicht wieder dem Meer zu. Dieses Mal gab er seine Antwort in einem Ton, der wohl mich und ihn beruhigen sollte. Zumindest entnahm ich seinen Worten diese Absicht.
»Sie lebt, mach dir keine Sorgen … Sie hat sich bloß sehr verändert … Sehr …«
Er hielt inne. Seine Stimme brach. Ich faßte ihn an der Schulter. Erst nach einer kleinen Pause konnte er weitersprechen.
»Ich bringe dich zu ihr.«
Diese Worte zogen mich noch stärker zu der Erzählung hin. Deshalb wagte ich es, ihn durch eine Frage noch etwas mehr zu drängen. Obwohl ich fühlte, daß er keine größeren Erklärungen abgeben wollte. Die Frage war kurz, einfach, unschuldig, freundschaftlich. Ich würde mit jeder Antwort zufrieden sein.
»Kannst du nicht ein bißchen erzählen?«
Dieses Mal faßte er meine Hand und drückte sie, als wollte er uns beide zu einer passenderen Zeit hinziehen. Als erwartete er von mir, daß ich irgendwo einhielte.
»Nicht heute nacht … Wir haben viel geredet … Laß uns jetzt gehen …«
Ich schaute auf die Uhr. Es war nach zwei. Er hatte recht, wir hatten viel geredet. In jeder Hinsicht …
»Wann bringst du mich zu ihr?«
Seine Antwort kam ohne großes Nachdenken. Die Antwort verdüsterte nicht die Wärme und das gegenseitige Vertrauen zwischen uns, dennoch schien unabhängig vom Wortlaut ein Ausweichen darin zu liegen.
»Wann immer du willst … Morgen, bald, sobald du es willst … Wir sehen uns ab jetzt ja ständig …«
Ich mußte an meiner Entschlossenheit festhalten. Ich war nun mal überzeugt, nur in dieser Weise in der Erzählung vorankommen zu können.
»Dann morgen. Um zwei Uhr nachmittags. Ich hole dich gegenüber der Polizeistation ab.«
Trotz all meiner Gefühle mußte ich innerlich lachen. Was für einen passenden Ort hatte ich doch vorgeschlagen nach allem, was ich gehört, was er erzählt hatte! … Als ich den Vorschlag formulierte, war mir das noch nicht mal aufgefallen. Doch als ich die Worte ausgesprochen hatte, war es zu spät. Natürlich hatte ich damit keine Absicht verfolgt. Dennoch hatten mich Bilder aus alten Zeiten zu dem Vorschlag gebracht. Damals hatten wir uns oft am Schreibwarenladen gegenüber der Wache von Teşvikiye getroffen. Ein anderer Treffpunkt war vor dem Konak-Kino gewesen. Leider gehörte dieses Kino wie so viele Kinos und andere Plätze inzwischen der Vergangenheit an. Kurz gesagt war es meine Absicht, eine weitere Brücke zu jener Zeit zu schlagen. Wir beide lächelten über meinen Vorschlag. Er nickte wieder. Ja, diese Bewegung machte er oft. Ich mußte mich damit nicht aufhalten. Ich sagte mir lediglich, daß Menschen, die einander gut kannten, sich
Weitere Kostenlose Bücher