Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach
war gerührt. Dann schwiegen wir ein Weilchen. Wir mußten uns nun der Realität stellen. Die ersten Schritte reichten nicht aus. Es ging darum, dasselbe Ensemble zusammenzubringen. Er brachte die Bedenken zuerst zur Sprache.
»Wie sollen wir uns zusammenfinden? … Alle leben irgendwo verstreut …«
Ich mußte ihm zeigen, daß ich mehr oder weniger über Lösungen nachgedacht, in kleinem Umfang Vorbereitungen getroffen hatte. Ich wollte nicht, daß er die Hoffnung verlor, die uns erfüllte. Woher hätte ich wissen sollen, daß hinter seiner Frage ein tieferes, schwerwiegenderes Problem lauerte …
»Niso ist, wie ich schon sagte, in Israel … Den kann ich wahrscheinlich finden …«
Dieser Schritt veranlaßte ihn, ebenfalls einen Schritt zu tun. Schließlich hatte ich es mit einem ›Organisierten‹ zu tun.
»Ich kann Yorgos womöglich in Athen aufspüren.«
Es war, als überzöge sein Gesicht wieder ein Schmerz, eine Trauer, die nur schwer mitteilbar schien. Natürlich war ich von seinen Worten etwas überrascht. Wahrscheinlich verließ er sich auf seine Beziehungen in Athen. Doch wie kam er darauf, daß Yorgos dort sein könnte? … Hatte Yorgos doch in unseren letzten Tagen erwähnt, daß er nach Frankreich gehen wollte. Mein Zweifel und meine Überraschung entgingen ihm nicht, das konnte ich an seinem Lächeln sehen. Er schien sagen zu wollen: Das werde ich schon noch erzählen, zur rechten Zeit werde ich auch das erzählen. Am besten war, nicht zu fragen. Ich wußte, zu gegebener Zeit würde er alles erzählen. Gewiß würde ich seine Version der Erzählung hören wie auch die der anderen. In jenem Moment sah ich nur, daß es eine geheime Erzählung über Yorgos gab, die mit mir zu teilen er sich noch nicht bereit fühlte. Die Möglichkeit genügte mir. Wir waren an einen äußerst bedeutsamen Punkt gelangt, an dem wir jederzeit fortfahren, in jedem Sinne fortfahren konnten … Die Möglichkeiten und die Fragen waren unausweichlich verknüpft. Nun waren wir bei einer viel schwierigeren Frage angelangt. Was war mit den Mädchen? … Wir schauten einander an. Zweifellos war er bei derselben Frage gelandet. Und seine Erinnerungen glichen den meinigen … Wenn die Rede auf Yorgos kam, war es nämlich unmöglich, sich nicht an eines der Mädchen zu erinnern. Mir fiel es zu, einen weiteren Schritt zu tun.
»Wenn wir Niso gefunden haben, dann können wir auch Şeli finden. Denn sie ist ebenfalls nach Israel gegangen …«
Das wußte er nicht. Woher auch? … Damals, als sich seine Spur in Ankara verloren hatte, waren die Dinge hier weitergegangen. Er forderte keine Erklärung. Das Leben hatte uns gelehrt, zu warten, Geduld zu haben und vor allem einzusehen und anzuerkennen, daß Ereignisse viele Dimensionen haben können … Er lächelte nur bitter. Warum er so lächelte, das wußte ich freilich. Darüber mußte man nicht lange reden. Eine Frage war jedoch vorhersehbar. Er formulierte sie, obwohl sie uns beide bewegte.
»Wird Yorgos deiner Meinung nach kommen wollen?«
Ich kannte die Antwort nicht, er wahrscheinlich genausowenig. Die Frage mußte aber gestellt werden, sie mußte unbedingt um dieser Geschichte und um Yorgos' willen gestellt werden. Ich wollte meine Hoffnung nicht verlieren und versuchte, uns beide durch Zuversicht zu überzeugen.
»Nach so vielen Jahren … Vielleicht ist genau jetzt die Zeit reif …«
Wahrscheinlich war es am besten, an diesen Fall zu glauben. Dann versanken wir erneut in Schweigen. Es war unnötig zu sagen, an wen wir dachten. Jetzt war die ›schärfste‹ Heldin unseres Dramas an der Reihe. Die Heldin, die ich in einem der geheimsten Winkel versteckt hielt … Ich wollte deshalb, daß zuerst er von ihr sprach. Ich wollte mich nicht durch meine Stimme verraten. Ich wartete nicht lange. Als er kurz darauf loslegte, war es noch dazu, als spürte er, was ich fühlte … Mit dem verräterischen Zittern in der Stimme …
»Nun ist nur noch Şebnem übrig … Willst du nicht wissen, was mit ihr ist?«
Mußte ich bei so einer Frage nicht unsicher werden? Mein Herzschlag beschleunigte sich plötzlich. Ich schwieg weiterhin, denn ich fand keine Antwort. Nun war ich also binnen kurzem mit einer weiteren Tatsache konfrontiert. Seine Stimme hatte heiser geklungen. Als sollte ich eine böse Nachricht hören. Mich schauderte. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen, schluckte und gab mir Mühe, mir mein Erschrecken nicht anmerken zu lassen.
»Du weißt irgend etwas … Ist es sehr
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