Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach

Titel: Wo wart ihr, als die Finsternis hereinbrach Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Levi
Vom Netzwerk:
eine Rückkehr ins Leben möglich sei, besser gesagt in unsere Welt. Würde sie wieder sprechen können? … Konnten wir sie zurückgewinnen? … Dieses Mal gab er eine etwas wärmere und hoffnungsfreudigere Antwort.
    »Das ist nicht ausgeschlossen … Vielleicht ist das keine vollständige Rückkehr, kein Erwachen wie in gewissen Filmen, doch wir dürfen eine solche Wahrscheinlichkeit nie aus den Augen verlieren …«
    Ich nahm meinen Mut zusammen. Ich wollte so sehr gerne für sie kämpfen … Ich sagte, was mir einfiel, ohne zu überlegen:
    »Vielleicht bewirkt ein Wort, ein Lied, ein Gegenstand dieses Wunder, was meinen Sie? … Ich will alles tun, was ich kann.«
    Er schien ein wenig verwundert über meine Worte. Er lächelte. War das ein unterstützendes, ermunterndes oder ein leicht verächtliches Lächeln über meinen aus seiner Sicht kindlichen Eifer? … Sollte er denken, was er wollte, das tat nichts zur Sache. Ich war nun entschlossen, die Schritte zu tun, die ich tun konnte. Ich würde wiederkommen, um Şebnem zu besuchen. Danach vielleicht noch einmal … Und noch einmal … Zweifellos würde ich das auch für mich tun, aber ich würde es tun. Ich schaute zu Necmi hin. Auch er lächelte. In dem Augenblick dachte ich, daß auch sein Lächeln vielerlei bedeuten konnte. Mir kam noch ein Gedanke. Wir kämpften jetzt für dieselbe Frau. Um dieselbe Frau zu gewinnen … Fern von jeder Rivalität … Denn nun … Denn nun gab es diese Frau nicht mehr … Es gab nur die Träume, die Hoffnungen, die wir um unserer Leben willen nicht verlieren wollten. Indem wir versuchten, Şebnem zu gewinnen, versuchten wir etwas schwer zu Benennendes zu gewinnen, das mit uns selbst zu tun hatte. Das Schicksal hatte uns erneut im selben Kampf vereint. Nachdem das Leben für uns beide an verschiedenen Orten, mit verschiedenen Toden dahingeflossen war … Ich versank wieder … Hätte ich nicht die Aufforderung von Zafer Bey gehört, wer weiß, wo ich gelandet wäre.
    »Kommen Sie, ich zeige Ihnen die Bilder, die sie gemalt hat. Sie geben meiner Ansicht nach wichtige Anhaltspunkte für ihre innere Welt.«
    Diese Aufforderung machte mir deutlich, daß er meine Begeisterung wertschätzte. Wir standen auf und gingen wieder durch die Station. Manche der Bilder hingen in den Korridoren, andere, wie Necmi gesagt hatte, an den Wänden ihres Zimmers. Die einen zeigten ein aufgewühltes Meer, Wellen, die an steile Felsen schlugen, andere zeigten weite Ebenen mit sturmgepeitschten, gebeugten Bäumen. Es waren Bilder ohne Menschen. Oder wir konnten die Menschen auf ihnen nicht sehen. Ich fühlte mich gedrängt, meine Gefühle in Worte zu fassen. Nicht nur um verlauten zu lassen, was die Bilder in mir erweckten, sondern weil ich die Sorge nicht los wurde, es würden ein paar entsprechende Worte von mir erwartet …
    »Sehr eindrucksvoll … Und so traurig. Als wäre alles in einen Sturm geraten …«
    Es war sinnlos, mehr zu sagen. Dann erklärte ich Zafer Bey, daß wir gehen müßten. Wir hätten seine Zeit über Gebühr beansprucht. Er sagte mir, daß ich jederzeit wiederkommen könne. Unter der Bedingung, daß ich vorher anrufe, Bescheid sage. Besuch an solch einem Ort sei von ein paar Erlaubnissen abhängig. Ich mußte versprechen, die Regeln zu beachten. Ich würde binnen kurzem unter Beachtung der Vorschriften kommen. Ich fragte auch, ob ich Şebnem kleine Geschenke mitbringen dürfe. Es war den Versuch wert, alles war den Versuch wert. Natürlich wußte ich nicht, was ich bringen sollte. Doch ich war nun noch entschlossener, zu kämpfen, als in dem Moment, als ich meinen ersten Schritt in dieses Krankenhaus getan hatte.
    Wir verabschiedeten uns von Zafer Bey und gingen nach draußen. Bis zum Auto sprachen wir nicht. Ich schaute mich um. Ich versuchte, das kleine, schutzlose Land besser kennenzulernen, wo Şebnem seit Jahren lebte, und das, von den Menschen draußen ungesehen, völlig unverstanden vielen Winden, Stürmen offenstand. Dann war es Zeit für den Rückweg. Wir kehrten in unser Land zurück, das wir als sicherer kannten. Diese Rückkehr gestaltete sich ziemlich still. Zwischendurch sagte ich, ich wolle alleine hinfahren, um Şebnem noch einmal zu sehen. Necmi sagte, er erwarte keine Erklärung, er wisse sowieso, daß ich das tun werde. Dann schwiegen wir. Wir mochten beide nicht viel sprechen. Ich setzte ihn in Teşvikiye ab. Ich wollte ein wenig allein sein. Eine Stimme schien mich zu jener unvergeßlichen Nacht meiner

Weitere Kostenlose Bücher