Wölfe der ewigen Nacht (German Edition)
streckte vorsichtig die Hand aus. Der Wolf wich zurück, soweit es das Seil zuließ.
»Keine Sorge! Ich befreie dich.« Der Wolf beruhigte sich und sie versuchte, mit der rostigen Klinge, das Seil zu durchtrennen. Aber es ließ sich nicht kappen. Sie warf das nutzlose Schwert weg. Danach setzte sie sich im Schneidersitz neben ihn.
»Tut mir leid. Aber meine Brüder finden uns bestimmt bald, dann helfen sie mir, dich zu befreien.« Dann wurde der Wolf plötzlich gespenstig ruhig. Und der Boden bebte ein weiteres Mal. Josi krallte sich in das Fell des Wolfes und sah nach oben. Sie bedeckte mit ihrem kleinen Körper sein Gesicht und schütze es vor den Ästen, die nun auf ihren Rücken trommelten.
»Es ist gleich wieder vorbei!« Jeder Ast, der auf sie fiel, schien einen Knochen zu brechen. Aber sie wich keinen Zentimeter von dem Wolf zurück. Er konnte sich nicht beschützen und sie würde sich eher eine Hand abbeißen lassen, als ein Tier schutzlos zurückzulassen.
Urplötzlich spürte sie, wie sie zur Seite gestoßen wurde. Der Wolf erhob sich und das rote Seil fiel von seinem Körper. Das Erdbeben musste die Befestigung des Seils gelöst haben. Würde er sie nun fressen? In Stücke reißen? Die Äste fielen immer noch auf Josi, als der Wolf näher kam. Sie schloss in Erwartung auf das Kommende die Augen. Der schmerzliche Astregen hörte abrupt auf, und als sie ihre Augen wieder öffnete, sah sie den Wolf, der sich schützend über sie gestellt hatte. Sie streckte ihre Hand aus und begann ihm den Bauch zu streicheln.
»Danke.« Nachdem die letzten Äste an dem riesigen Wolf abgeprallt waren, entfernte er sich etwas von ihr. Er war ein wirklich beeindruckender und vor allem furchteinflößender Wolf. Als er wieder auf sie zuging, blieb sie stehen. Er hatte sie vor den Ästen beschützt, warum sollte er sie also nun töten? Er senkte seinen Kopf und sog Luft ein. Er beschnupperte sie!
»He Großer! Ich rieche bestimmt nicht sehr angenehm.« Doch es schien ihn überhaupt nicht zu stören. Ganz im Gegenteil. Er schmiegte seine große Schnauze an ihr Gesicht und ein Teil seiner Nase wurde von ihren Haaren bedeckt.
»Das kitzelt!« Nachdem er noch ein paar Mal ihren Duft eingezogen hatte, entfernte er sich wieder von ihr und drehte sich um.
»Pass gut auf dich auf!« Er drehte sich nicht noch einmal um, sondern verschwand im Wald. Sie sah sich um. Sie musste den Hügel wieder hinauf, den sie vorhin heruntergefallen war. Na toll. Sie nahm Anlauf und rannte so schnell wie möglich den Abhang hoch. Sie sah schon das Ende und trat versehentlich auf eine Baumwurzel, die aus dem Erdreich hervor lugte.
»Scheiße!« Sie versuchte, das Gleichgewicht zu halten, spürte einen stechenden Schmerz im Fuß und fiel schließlich rücklings den Abhang wieder hinunter.
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15. Kapitel
Wärme umfing sie und ein sanftes Schaukeln begann, ihren Körper wieder ins Traumreich zu entführen. Aber sie wollte nicht schlafen. Sie musste die Augen öffnen und einen Weg nach Hause finden. Oder zumindest ihre Brüder auf sie aufmerksam machen. Als sie ihre Augen schließlich zwang, sich zu öffnen, sah sie direkt in Artjoms Gesicht. Er trug sie.
»Du dumme Gans! Was hast du dir nur dabei gedacht? Vater ist außer sich vor Sorge.« Sie hätte jeden anderen hier erwartet, aber nicht ihn. Er war immer derjenige, der sich von ihr fernhielt und nie mit ihr sprach, wenn es nicht wirklich nötig war. Sie hatte immer gedacht, dass er sie hassen würde, weil sie sich in seine Familie gedrängt hatte.
»Tut mir leid.« Er seufzte gequält auf und drückte sie etwas fester an seine Brust. »Warum magst du mich eigentlich nicht?« Wie vom Blitz getroffen blieb er stehen und sah sie entgeistert an.
»Natürlich mag ich dich. Wie kommst du auf einen solchen Blödsinn?« Sie wurde rot. »Du redest so gut wie nie mit mir und gehst mir so gut wie immer aus dem Weg. Ich dachte, du nimmst es mit übel, dass ich in eure Familie gekommen bin.«
»Josephine! Überlass das Denken den Pferden. Die haben einen größeren Kopf.« Ihre Augen wurden groß.
»Du magst mich also?« Er nickte. Dann sag er wieder nach vorne und setzte sich in Bewegung.
»Du hast mich zu sehr an Jekaterina erinnert. Ich habe sie wirklich geliebt und ihren Tod nie richtig verkraftet. Du siehst ihr so ähnlich, dass ich Angst hatte, sie zu vergessen und nur noch dich zu sehen.« Das hätte sie nie erwartet. Sie hätte ihn schon viel früher fragen sollen, dann wären sie
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