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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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alles nur akzeptieren, weil er dalag und die Ärzte und Schwestern mit ihm redeten – »Können Sie mir sagen, was für ein Jahr wir haben? Können Sie mir sagen, wie der Präsident heißt? Können Sie das Wort Hund buchstabieren?« Was konnte er denn schon tun außer glauben, dass dies fast die Wirklichkeit war?
    Zwei Wochen war er dort. In dieser Zeit wechselten die Männer in den Betten neben ihm häufig, aber einer war ihm besonders im Gedächtnis geblieben, ein gewisser Gefreiter Mars aus Louisiana, der seine Hand verloren hatte, als der Truppentransporter, in dem er als MG-Mann im Schützenturm mitfuhr, einen Abhang hinunterstürzte und ihn unter sich begrub.
    Sie lagen da und redeten, während klare Flüssigkeiten in sie hinein und dunkle Flüssigkeiten aus ihnen heraustropften. Sie redeten viel – ununterbrochen, wie es ihm erschien –, weil das Reden ihnen ein Gefühl der Sicherheit vermittelte. Sie fühlten sich sicherer, als wenn sie mit ihren Gedanken alleine wären. Sie redeten darüber, wie durstig sie seien und wann die Schwester wieder mit Coke und Wasser vorbeikommen werde. Sie redeten über ihre Väter, die beide in Vietnam gedient hatten, und beide etwas dagegen gehabt hatten, dass sie sich meldeten. Sie redeten darüber, warum JJF die beste Erdnussbutter-marke sei. Sie redeten darüber, wie heiß Angelina Jolie sei und wie unglaublich ein Blow-Job bei diesen Lippen sein müsse. Das Einzige, worüber sie nicht redeten, waren ihre Verletzungen.
    Bis Mars eines Tages Brian eine Geschichte über seinen Großvater erzählte, einen Veteranen des Zweiten Weltkriegs, der keine Beine mehr hatte. Er war auf den Philippinen, auf der Insel Mindoro, als unter ihm eine Landmine explodierte. Unterhalb der Knie hatte er so gut wie nichts mehr, ein paar Hautfetzen, Muskelfragmente und zersplitterte Knochen. Seine Einheit hatte ihren Sanitäter bei einem Feuergefecht verloren, also taten die Soldaten selber alles was in ihrer Macht stand. Drei Männer hielten ihn fest, während ein anderer mit einem Messer in seine Knie schnitt. Über einem Feuer erhitzten sie eine Machete, bis sie orange glühte. Damit kauterisierten sie die Arterien und strichen dann eine Salbe auf und klebten ein schützendes Pflaster aus dem Erste-Hilfe-Kasten darauf. Per Funk gaben sie seine Koordinaten durch und legten ihn an einem nahen Strand ab, und als einen Tag später ein Helikopter ihn abholte, hatte er hohes Fieber und dunkle Linien der Infektion krochen seine Schenkel hoch.
    »Wenn ich an diese Geschichte denke, glaube ich, dass ich Glück gehabt habe.« Beim Sprechen gestikulierte Mars mit seinem Stumpf, und Brian konnte beinahe sehen, wie geisterhafte Finger durch den Raum deuteten, einen Raum voller Blut und Stöhnen. »Wir haben Glück gehabt.«
    Vielleicht zum ersten Mal fühlt Brian sich so – als hätte er Glück gehabt –, als er nun durch die Nacht eilt. Das Glück, noch einmal zu Karen gehen zu können. Genug Glück, um die Jäger zu ignorieren, die auf der Suche nach ihm noch immer den Wald durchstreifen. Obwohl die Schatten dicht sind, bewegt er sich vorsichtig, wie ein Soldat in feindlichem Gebiet, er springt von Baum zu Baum, duckt sich immer wieder hinter einen Strauch, um nach entfernten Schüssen zu lauschen. Er trägt sein Fellkostüm, und das gibt ihm ein Gefühl der Unsichtbarkeit und Macht.
    Die Erinnerung an ihre Berührung ist noch sehr präsent – so lebendig, als würde sie seine Hand halten und ihn durch den Wald zu sich ziehen. Er widert sie nicht an. Darauf kommt er immer wieder zurück, dass seine Verletzung sie ihm nähergebracht hat und ihr Gesicht mit Sympathie und Herzlichkeit furchte. Es ist, als hätte er das Prinzip des Magnetismus entdeckt – er stößt sie nicht ab, er zieht sie an –, und jetzt eilt er zu einem Versammlungsort.
    Als er ankommt, ist es nach Mitternacht, und ihr Haus ist so dunkel wie der Wald, die Fenster zeigen kein Lampenlicht oder den zitternden, wässrigen Schein eines Fernsehers. Wo der Waldrand an den Rasen stößt, bleibt er stehen und lauscht nach Verkehr auf der Straße. Als er nichts hört, rennt er über das Gras zur Garage und späht durch das Fenster der Seitentür, um nachzusehen, ob ihr Ehemann zu Hause ist. Im Dunkeln sieht er nur ihr Auto, und dann geht er die Verandastufen hoch, steckt den Schlüssel ins Schloss und zieht ihn wieder heraus und tritt durch die Tür.
    Einen Augenblick steht Brian im Eingang. Da ist der vertraute Anblick der neben der Tür

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