Wölfe der Nacht
Nahen des Winters. Auf den ersten Blick wirkt die Szene heiter. Dann schaut er genauer hin. Eine Espe im Vordergrund scheint entsetzt die Arme hochzuwerfen. Die Unterseiten ihrer Blätter glimmen in einem milchigen Licht und rascheln, wenn der Wind in sie fährt. Und die Bären, ihr Pelz scheint sich zu bewegen, zu schimmern wie Weizen im Wind. Ihre Augen sind wild, und sie sehen aus, als würden sie gleich aus dem Rahmen in das Foyer steigen und Justin fressen, um sich für die bevorstehenden, kalten Monate zu stärken.
Er verlässt das Hotel und schiebt seinen Vater über einen Kiesweg, auf dem sein Körper und sein Rollstuhl zittern, zum ersten Baum. Die Räder des Rollstuhls flüstern durchs Gras, als er seinen Vater bis zu dem Stamm schiebt und dort stehen bleibt. Der Wind streicht ihm übers Gesicht und bringt einen anderen Geruch mit sich, wie von frisch umgepflügter Erde. Der Himmel über ihm verdunkelt sich und Sterne schimmern wie Perlen am purpurnen Horizont.
Er tut so, als würde er mit einem Golfschläger ausholen, und sein Blick folgt dem unsichtbaren Ball die blaugrüne Weichheit des Fairways entlang, bis er nach etwa fünfzig Metern hängen bleibt. Hier muss der Baum gestanden haben, denkt er. Mit der Schuhspitze zeichnet er ein X ins Gras, entsprechend dem aufgesprühten X auf dem Baum, in dessen Nähe er zum letzten Mal mit seinem Vater zusammen war, bevor der stumm und lahm wurde. Ein Ort, der einmal so dunkel und fremd und wild für ihn gewesen war, ist jetzt ein Ort freundlicher Sonnenuntergänge und frisch gemähten Grases und Jazzbands und goldener Uhren.
Hinter sich hört er eine Stimme. »In diesen Wäldern haust ein Monster«, sagt sie.
Als Justin sich umdreht, sieht er Bobby auf sich zukommen. Er lächelt und zeigt mit der Champagnerflöte in seiner Hand auf ihn. »Ist nur ein Bär, da bin ich mir sicher. Die Leute reden darüber. Das Monster versteckt sich zwischen den Bäumen, gleich neben dem neunten Loch. Haarig. Einige sagen Sasquatch.« Er lacht darüber. »Wenn die Leute ihre Golfkarren abstellen, wenn sie ihre Putter herausziehen, um einzulochen, dann schleicht er sich manchmal heran und stiehlt, was sie an Essen oder Bier dabeihaben. Kannst du diesen Unsinn glauben?« Unter seinem strahlend weißen Lächeln und den durchtrainierten Schultern lauert eine furchtbare, hundeähnliche Präsenz, die sich ölig und stinkend an einen drückt, immer gierig darauf, einem entweder das Bein kopulierend zu umklammern oder das Genick durchzubeißen.
»Ich hasse Bären«, sagt Justin.
»Ja. Kann ich mir vorstellen.« Er stößt ein Seufzen aus, das nach Mundwasser und Alkohol riecht. Und dann senkt er den Blick zu Paul, der schwer durch die Nase atmet und Bobby mit seinem guten Auge beobachtet.
»Kannst du mich verstehen, Paul?«, fragt Bobby und fährt sich mit der Zunge von einer Seite zur anderen über den Gaumen. »Paul, Junge?« Seine Stimme wird lauter, er schreit fast. »Gefällt dir, was wir aus dem Fleck gemacht haben, Paul?« Er deutet mit der Hand durch den Canyon, als würde er über ein renoviertes Badezimmer sprechen. »Aber deine Hilfe hätten wir schon gebrauchen können.« Wie immer umspielt sein Lächeln seine Lippen ein wenig zu lang. Zu Justin gewandt, fragt er: »Kann er mich überhaupt hören?«
»Ja.«
»Kann er mich verstehen?«
»Ich glaube schon. Andere Leute sind sich da nicht so sicher, aber ich glaube es.«
»Aha.« Er legt den Kopf schief und betrachtet Paul noch einen Augenblick. »Was für eine Schande.« Dann leert er sein Glas und fragt: »Wie auch immer. Wie geht’s Karen?«
»Karen?« Justin überrascht es, dass er ihren Namen überhaupt kennt. »Ziemlich gut. Uns beiden geht es ziemlich gut.«
»Ach, wirklich?«
»Ja. Richtig gut geht es uns.« Und das stimmt tatsächlich. Es gibt immer noch schlechte Tage. Aber es gibt mehr gute Tage, wenn sie einander auf den Kissen anschauen und sich gegenseitig übers Gesicht streichen, die Kontur der Nase und den Schwung des Kinns nachfahren, als hätten sie die Gestalt der Liebe vergessen und versuchten nun aufrichtig, sich daran zu erinnern.
»Das ist gut.«
»Ist es.«
»Gut«, sagt Bobby ohne erkennbaren Ausdruck in der Stimme, keinen Enthusiasmus, keinen Zweifel, nur Lautstärke, um seine Sätze zu transportieren. Er klopft Justin auf die Schulter und lässt die Hand dort liegen. »Nun denn. Wollte nur mal Hallo sagen. Jetzt ist es Zeit, dass ich verschwinde.« Er massiert Justin die Schultern.
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