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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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ist feucht von Rotz. Unter dem Kiefer hat er Schwellungen, seine Lymphdrüsen fühlen sich an wie wässrige Murmeln. Er massiert sich die Nebenhöhlen und spürt einen Kloß im Hals. Ächzend schält er sich aus dem Schlafsack und zieht seine Jeans an. Die Kälte ist in den Baumwollstoff gekrochen, seine Beine überziehen sich mit Gänsehaut.
    Sein Körper fühlt sich an, als wäre er über Nacht verkalkt. Direkt vor dem Zelt streckt er den Hals und drückt sich die Knöchel ins Kreuz, bis er sich nach einigem Knacken etwas lockerer fühlt.
    Die Nacht hat die Welt mit einem Hauch aus Tautropfen überzogen. Ein leichter Dunst hängt über dem Boden, wirbelt um Baumstämme und weht über den Fluss, doch die aufgehende Sonne wird ihn bald wegbrennen.
    Dann bemerkt er um das Zelt herum das frisch zertrampelte Gras und den Stiefel, der direkt vor ihm liegt. Das Leder ist zerrissen und verfärbt, als wäre er durch den Verdauungstrakt eines großen Tiers gewandert. Er erkennt ihn als den Stiefel des toten Mannes. Lange steht er nur da, starrt ihn an und versucht, sein noch vom Schlaf vernebeltes Hirn zum Funktionieren zu bringen. Der Anblick ist so verstörend wie der einer Spinne, die über die Linse eines Projektors läuft und vergrößert auf die Leinwand geworfen wird. Eine furchteinflößende Unterbrechung des Albtraums dieses frühen Morgens.
    Ihm fällt ein, was Graham am Abend zuvor gesagt hatte – dass Bären fast so intelligent sind wie Menschen –, und fragt sich, was für eine Tierart eine Warnung hinterlassen würde. Keine Tierart.
    Wahrscheinlich war es der Hund. Der Hund hat den Stiefel gefunden und hier abgelegt. Das ist die einzig vernünftige Erklärung.
    Als er zur Feuergrube geht, weicht er dem Stiefel aus, behält ihn dabei aber im Blick, als könnte er hochspringen und ihn treten. Mit zusammengeknüllten Zeitungsseiten entzündet er ein paar Holzscheite, und bald hat er ein Feuer knistern.
    Er denkt an letzte Nacht. Jetzt sieht er sie nur noch als Schwarz-Weiß-Bilder vor sich, wie eine Szene aus einem alten Film, an die man sich nur undeutlich erinnert. Die Gefahr, die er zu der Zeit spürte, wirkt jetzt nicht mehr greifbar, da er die kalte Morgenluft einatmet und sieht, wie die Luft um ihn herum immer heller wird. Aber dieses Gefühl der einstweiligen Sicherheit verschwindet, als er zum Waldrand geht, um den Leinwandsack zu holen, und feststellen muss, dass er nicht mehr da ist.
    Der Ast hängt schief herunter, ist vom Baum gerissen, auf dem er eine herzförmige Wunde leuchtend weißen Holzes am Stamm hinterlassen hat. In Bodennähe, wo das Seil festgebunden war, entdeckt er Kratzspuren in der Rinde, hier haben Klauen und Zähne an dem Seil gezerrt, bis auch der letzte Faden gerissen war. Um den Baum herum und auch in den Wald hinein ist das Gras niedergetrampelt. Irgendetwas hängt in der Luft. Wenn er die Nasenlöcher weitet und tief einatmet, kann er es riechen. Es riecht wie Boo, wenn er aus dem Fluss kommt und sich schüttelt. Nach Sperma. Nach Haaren. Mit einem Hauch von muffigem, altem Frittierfett.
    Er lauscht angespannt, hört aber nur Vogelgezwitscher und den Fluss, deshalb hebt er den Fuß und macht einen zögerlichen Schritt, überquert die Grenze zwischen der immer heller werdenden Wiese und dem noch schattenverhüllten Wald. Dabei spürt er ein Kribbeln in den Fußsohlen, als würde die Hitze der Bärentatzen noch aus dem Waldboden strahlen. Er bewegt sich vorsichtig, bahnt sich einen Weg durch ein Gebüsch, steigt über einen Stamm und achtet darauf, keinen Ast zu zertreten oder an einer Wurzel hängen zu bleiben. Nach nur ein paar Metern entdeckt er das Seil, wie eine Schlange liegt es in den braunen Kiefernnadeln. Er folgt ihm durch einen engen Korridor aus Bäumen und findet an seinem Ende den Sack, noch daran festgebunden, aber aufgerissen und der Inhalt auf dem Waldboden verstreut.
    Eine Packung Oreos liegt zerfetzt unter einem Busch, aufgenagt und geleert. Mehrere leere Pepsi-Dosen glänzen hier und dort zwischen den Bäumen, das dünne Blech von scharfen Zähnen schartig aufgerissen, damit der Bär den zuckrigen Rückstand ablecken konnte, der noch an dem Metall klebte. Von der Bratpfanne wurde der Griff abgebrochen.
    Kleidungsstücke, ihre schmutzigen Sachen, wurden in die Erde getreten oder auf seltsame Weise über Büsche geworfen. T-Shirts und Socken und Jeans. Vor seinen Füßen findet er eine Unterhose. Kindergröße, weiße Boxershorts. Er hebt sie auf. Sie sind noch

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