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Wölfe der Nacht

Wölfe der Nacht

Titel: Wölfe der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benjamin Percy
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Äste klappert und mit einem dumpfen Schlag auf dem Waldboden auftrifft.
    Die Sonne bricht durch die dunklen Baumstämme und taucht alles in ein fahlrotes Licht. Für die Augen ist es fast schmerzhaft, der ganze Canyon ist ein von Schatten durchschnittenes Zinnoberrot.
    »Roter Himmel am Morgen ist dem Seemann eine Warnung«, sagt Justins Vater mit Blick auf den Wald.
    Als sein Vater zum Fluss geht, um sich Wasser ins Gesicht zu spritzen und sich unter den Achseln zu waschen, setzt Justin sich zu Graham, der mit den Ellbogen auf den Knien und der Kamera in der Hand dasitzt. »Was machst du da?«
    »Ich schau mir meine Fotos an.«
    Auf dem Display sieht Justin die Aufnahme, die Graham am letzten Abend gemacht hat – nur Justin ist nicht drauf. Das Zentrum ist sein Vater, die Lippen feucht vom Schnaps und zu einem schiefen Lächeln verzogen.
    »Wo bin ich?«
    »Schätze, ich wollte dich nicht draufhaben.«
    Die Worte schmerzen so, wie sie treffenderweise das Wochenende beschreiben. Justin fängt jetzt an zu spüren, was alle Eltern spüren – wenn ihr Kind in diese spezielle Lebensphase eintritt, die charakterisiert ist von verschlossenen Zimmertüren und plärrender Musik und theatralischem Augenverdrehen –, man fühlt sich verraten von der wachsenden Distanz zwischen Kind und Eltern. »Oh«, sagt er nur, weil er nicht mehr herausbringt.
    Dann deutet Graham auf eine Stelle hinter der Schulter seines Vaters. »Siehst du das?« Er beugt sich über die Kamera und benutzt den Zoom, um den Hintergrund deutlicher zu machen, bis das Display eine gepixelte Silhouette mit zwei starrenden Leuchtkäfer-Augen zeigt. »Was ist das?«
    »Ich weiß es nicht«, sagt Justin. Von letzter Nacht hat er Graham nichts erzählt – nichts von der Schnauze, die gegen das Zelt drückte, nichts von dem vom Baum gerissenen Leinwandsack –, weil er weiß, dass er dem Jungen damit nur Angst machen würde. »Vielleicht ein Opossum.« Justins Blick wandert zum Wald, zu der Stelle, wo die Augen waren. Dort spielen zwischen den Kiefern Schatten.
    »Du glaubst nicht, dass es ein Bär ist?«
    »Nein. Das glaube ich nicht.«
    Justins immer größer werdende Besorgnis implodiert und verkriecht sich tief in seinem Inneren, als Graham die Kamera ausschaltet und das Display schwarz wird. Dass er, ein Kind, die Möglichkeit der Gefahr so einfach abtun kann, bringt Justin dazu, sich selber zu schelten, weil er so leicht zu erschrecken ist –, auch wenn die Augen noch schwach in seinem Kopf brennen.
    »Dad?«, sagt Graham und schaut Justin jetzt an, schaut ihn richtig an. Unverwandt, besorgt, empfindsam – das ist sein Sohn –, und Justin legt ihm den Arm um die Schultern, als wollte er ihn wieder bei sich aufnehmen. »Ich vermisse Mom.«
    »Wir sehen sie ja bald wieder.«
    Eine Weile schauen sie einander an. Seine Augen haben diese wunderschöne Grauschattierung, die man für einen Edelstein in einem bedeutungsvollen Schmuckstück auswählen würde. Justin sieht in ihnen eine Entschlossenheit, die für ihn noch unerreichbar war in diesem Alter, als seine weicheren Teile noch sehr leicht nachgaben, und er ohne jedes Selbstbewusstsein tat, was man ihm sagte. Justin deutet einen Boxhieb zum Kinn an und klopft ihm dann laut und mit beinahe gewalttätiger Zuneigung auf den Rücken.
    »Aber zuerst müssen wir diesen Tag noch überstehen. Und ich freue mich auf diesen Tag«, sagt Justin, doch sein Blick wandert zur Kamera. »Ich habe das Gefühl, es wird ein guter Tag.«

BRIAN
    Genau davor hatte er Angst. Als er den Fernseher einschaltet, zeigt der Bildschirm einen Reporter, der im Wald steht. Auf dem Griff des Mikrofons in seiner Hand steht Z-21. Bei diesen Lokalsendern findet man immer andere Kerle mit den immer gleichen hässlichen Krawatten und schlecht sitzenden Anzügen von JC Penny, alle entweder frisch vom College und gierig darauf, sich zu beweisen, oder Alte und Müde mit gelben Zähnen und schwarz gefärbten Haaren, deren zusammengesunkene Haltung ihr verbittertes Eingeständnis verrät, dass sie es nie aus der Drittklassigkeit geschafft haben. Dieser Reporter ist keine Ausnahme, er ist älter als Brian und stottert sich durch eine Meldung über eine Bigfoot-Sichtung. Als er auf den Kiefernwald hinter sich deutet und sagt: »Hier in der Nähe, in diesem Wald, wurde die angebliche Kreatur angeblich gesehen«, wechselt sein Ton zwischen ängstlich und witzelnd, als wisse er nicht so recht, wie er die Geschichte aufziehen soll.
    Vom Livebericht wird

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