Wölfe der Nacht
Der Fluss macht ein zischendes Geräusch. Büsche schwanken im Wind. Die Schatten der Wolken ziehen dunkel über den Canyonboden. Menschen sind tot, aber nichts hat sich verändert. Nichts ist anders bis auf den Kloß in seiner Kehle. Der Friede, die Stille des Canyons wurden kaum gestört.
Ein Marienkäfer öffnet die Flügel, und er folgt ihm mit dem Blick, als er eine kurze Strecke fliegt und auf einem besprühten Fleck Gras landet und die Halme kostet. Das hingesprühte Symbol hat scharfe Kanten wie der Ellbogen eines großen Körpers, dessen Umriss mit Kreide auf einen Boden gezeichnet wurde.
Er versucht, sich an alles zu erinnern, was er über Bären weiß, und undeutlich kommt ihm eine Fernsehsendung in den Sinn, die er im Discovery Channel gesehen hat. Über Filmmaterial von Grizzlys, die Lachse aus Flüssen fischen, und Schwarzbären, die auf Wiesen kämpfen, erklärte eine kehlige britische Stimme, dass alle Bären ursprünglich von einer Kreatur abstammen, die etwa so groß war wie ein kleiner Hund. Die Schulterblätter dieses Bären wurden als Sicheln fürs Grasschneiden verwendet. Dass Eisbären heute etwa zweihundert Pfund weniger wiegen als vor fünfzehn Jahren, da ihre Futtergründe sich immer mehr verringern. Das sind Tatsachen. Tatsachen sind beherrschbar. Tatsachen sind etwas, das man begreifen und in die Bücherregale seines Hirns einordnen und einem Klassenzimmer voller Schüler beibringen kann. Tatsachen beruhigen ihn.
Sein Vater hört Justin sicher näherkommen, aber er dreht sich nicht um. »Also komm«, sagt Justin seinem Rücken. »Wir gehen zur Polizei, zum Forest Service, zu wem auch immer. Und dann kommen wir hierher zurück. Dann finden wir Boo.«
Sein Vater sagt nichts. Er ist in ein stures Schweigen verfallen, das nichts, was Justin sagt, aufbrechen kann. Deshalb legt Justin ihm die Hand auf die Schulter und schüttelt ihn. Sein Vater schnellt herum, rammt Justin den ausgestreckten linken Arm an die Brust und schlägt mit der Rechten nach ihm. Seine Knöchel streifen Justins Wange. Justin taumelt ein paar Schritte zurück, und sein Vater versucht, an ihm vorbeizutauchen. Ohne es zu merken, hat Justin die Faust geballt, und mit der holt er jetzt aus und stoppt seinen Vater mit einem Schlag ins Gesicht, der sie beide ein paar Schritte zurücktaumeln lässt. Heiße Nägel des Schmerzes bohren sich zwischen seine Knöchel und in die Handgelenke. Etwas Ähnliches spürt er in seiner Brust, wo die Empfindungen des Triumphs und der Scham sich auf stechende Art vermischen. Der schlaffe Gesichtsausdruck seines Vaters zeigt, dass er ähnlich verblüfft ist; er hebt sich die Hand an den Mund, aus dem bereits Blut quillt.
Dann richtet sein Vater sich auf und senkt leicht den Kopf, und seine Hände schießen vor, um Justin am Kopf zu packen. Sein Vater wirft ihn zu Boden, und sein Atem weicht keuchend aus ihm. Sofort stürzt sein Vater sich auf ihn und trifft ihn mit seiner rechten Geraden, gefolgt von kurzen Haken an die Wange. Justin spürt eine Explosion weißglühenden Schmerzes im Ohr. Glühwürmchen tanzen am Rand seines Blickfelds. Justin greift wild nach dem Bein seines Vaters und reißt ihn zu Boden, und dann liegen sie nebeneinander und bedecken sich gegenseitig mit einer Serie von Schlägen an den Hals, in den Bauch, ins Gesicht. Justins Muskeln verkrampfen sich unter der Gewalt der Fäuste seines Vaters. Als sein Vater ihm den Ellbogen in die Nase rammt, kocht ein plötzlicher Schmerz in und um seine Augen auf, und Tränen treten hervor. Justin jagt ihm sein Knie zwischen die Beine, und sein Vater stöhnt und versetzt Justin mit der flachen Hand einen Schlag gegen die Stirn, der ihn mit solcher Kraft wieder zu Boden wirft, dass Justin buchstäblich sein Hirn gegen den Schädel klatschen hört. Kurz wird ihm schwarz vor Augen, dann kehrt die Sicht wieder zu der Technicolor-Schärfe zurück, die das durch seinen Körper pulsierende Adrenalin mit sich bringt.
Graham verlässt seinen Platz am Feuer und kommt zu ihnen gelaufen. Die einzigen Geräusche sind ihr keuchender Atem, ein gelegentliches Ächzen, das Klatschen von Fäusten auf Fleisch. Auf diese Art kämpfen sie wie Brüder es tun sollten, damit ihre Mutter es nicht hört.
Als Justin noch ein Kind war, kämpfte sein Vater mit ihm, drückte ihm manchmal ein Knie an die Schläfe oder hakte ihm einen Finger in den Mund, bis Justin flehte: »Onkel.« Aber für diesen Kampf gibt es kein zufriedenstellendes Ende. Graham sagt: »Hör
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