Wölfe der Nacht
Ordnung.«
JUSTIN
Über ihren Köpfen türmen sich Wolken. Sie treiben aufeinander zu und schließen die blauen Lücken dazwischen, wie Hände, die langsam einen Schleier aus Grau über den Tag weben. Die Sonne sickert durch die dünneren Wolken und formlose Lichtsprengsel ziehen über den Canyonboden und die Wände.
Graham hustet abgehackt in seine Faust. »Was machen wir jetzt?«
Das ist keine Frage, die Justin sofort beantworten kann, deshalb konzentriert er sich stattdessen auf den Wald um ihn herum, wo alles verdächtig wirkt. Jeder Ast ist eine ausgestreckte Pranke. Jeder sich bewegende Schatten ist wie ein plötzliches, verstohlenes Abtauchen in ein Versteck. Er wünscht sich weg aus diesem Canyon und schaut dabei zum Himmel, doch seine Augen verharren eine Sekunde zu lang auf der Sonne, so dass er einen weißen Punkt sieht, als er wieder wegschaut, wie der letzte Rest eines Fernsehbildes, wenn man ausschaltet, weil man diese Sendung doch nicht sehen will.
Als sie ins Lager zurückkommen, ist es nicht mehr so, wie sie es verlassen haben. Die Kühlbox ist offen, der Inhalt im Lager verstreut. Die Klappstühle sind umgeworfen. Das Zelt ist eingestürzt, und die Hälfte von Justins Schlafsack lugt hervor wie eine herausgestreckte Zunge.
»Was zum Teufel«, flucht Justin, während adrenalingetränkte Panik in seinem Hinterkopf summt. »Ich meine, was zum Teufel, Dad?« Justin weiß, das klingt wie eine Zeile aus einem schlechten Buch, und er hätte lieber eine Zeile aus einem guten Buch, aber es gibt sonst nichts zu sagen. »Dad?«
Sein Vater hebt den Schlafsack an und riecht gedankenverloren dran. »Hm.«
»Was ist hm?«
»Hm, der Bär war das nicht.«
Justin wartet, dass er noch mehr sagt, und bald tut er es auch, als er durchs Lager geht und die Überreste mit dem Fuß anstubst. »Bären schrauben keine Gläser mit Erdnussbutter auf. Sie schälen nicht die Verpackung von Dörrfleisch. Bären trinken kein PBR-Bier, und ich auch nicht.« Er schaut in die Kühlbox und klappt dann den Deckel wieder zu. »Und Bären stehlen keinen Whiskey.«
Der Gedanke an Seth – wer sonst könnte es gewesen sein? – in ihrem Lager, wie er Bier trinkt und rücksichtslos in ihren Sachen stöbert, erscheint trivial im Vergleich zu dem, was bereits passiert ist. Er ist nur beiläufig wütend. Wenn Seth jetzt aus dem Wald kommen würde, könnte Justin ihn töten, ohne lange nachzudenken, ihn in den Fluss werfen und sich wieder umdrehen, bevor das Weißwasser ihn mit sich zieht. Er weiß, das entspricht absolut nicht seinem normalen Denken, aber dazu hat dieser Tag ihn gebracht. Er will Löcher in Bäume schlagen, mit Felsbrocken um sich werfen.
»Lass uns verschwinden«, schlägt Justin vor. »Können wir einfach verschwinden? Jetzt sofort?«
Sein Vater geht zu der Feuergrube, kauert sich davor und macht sich daran, ein frisches Feuer aufzuschichten. »Nicht ohne Boo, nein.«
»Wir fahren nach John Day und –«
»Nicht ohne Boo, nein!« Es kommt als Schrei aus seinem Mund. Ein irrer Blick schleicht sich in seine Augen, und Justin will sich nicht mit ihm streiten, deshalb hebt er nur die Hände und lässt sie wieder fallen, jede Suche nach einer Erklärung erscheint ihm sinnlos. »Jetzt essen wir etwas«, sagt sein Vater, nun wieder mit ruhiger Stimme, »und dann suchen wir ihn, wie du gesagt hast. Wie du gesagt hast, dass wir es machen sollten. Wir werden ihn finden. Und wenn wir unterwegs auf etwas anderes stoßen, töten wir es.«
Bald knistern die Flammen und Wildsteaks brutzeln in Butter, und Justins Hirn fühlt sich an, als wären die Wolken heruntergestürzt und hätten es gepackt.
Nachdem sie gegessen haben, schaut Justin seinen Vater an, aber sein Vater schaut in den Wald. Seine Hoffnung, dass sein Vater zur Besinnung kommen wird, schwindet, als er aufsteht und sich ein Stückchen vom Lager entfernt und sich sein Gewehr quer über die Schultern legt. So sieht er aus wie eine Vogelscheuche in einem abgeernteten Getreidefeld. Das Gewehr trägt das Gewicht seiner Arme, oder er trägt sein Gewicht.
Justin fischt sich eine Pepsi aus dem Steinkreis im Fluss und gibt sie Graham. Er nimmt sie wortlos und trinkt zuerst zögernd, dann aber in gierigen Schlucken, als würde er erst jetzt merken, wie durstig er ist. Justin gießt sich den Rest des Kaffees in einen Blechbecher und trinkt. Er ist grässlich bitter, aber er schluckt ihn wie eine Medizin, die etwas aus seinem Körper vertreiben soll.
Vögel zwitschern.
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