Wölfe und Kojoten
erhalten.«
»Hm.« Er schwieg einen Moment. »Zurück
zur drängenden Frage: Was machen wir jetzt? Hier können wir nicht bleiben.«
»Nach San Diego zurückfahren?«
»Um was zu tun? Außerdem, sieh uns mal
an. Du bist ziemlich schmuddelig, und man hat auch schon schmucker aussehende
Typen als mich in die Desinfektion gesteckt. In diesem Zustand willst du an der
Grenzkontrolle vorbei? Nachdem die Polizei die Grenzer womöglich benachrichtigt
hat, damit sie uns festhalten?«
»Nein, aber wir könnten uns ein bißchen
frisch machen.«
Wieder verfielen wir in Schweigen. Ich
wußte, daß er seinen Einwand gegen eine Rückkehr nach San Diego nicht aus Angst
vor der Grenzkontrolle vorgebracht hatte. Er wollte diesen Fall hier einfach
noch nicht aufgeben.
Schließlich sagte ich: »Okay, Ripinsky,
wenn du die Wahl hättest, was würdest du tun?«
Ohne zu zögern, antwortete er. »Mir
Mourning und das Akkreditiv schnappen. Beide über die Grenze schaffen und RKI
übergeben. Meinen Namen bei den Leuten reinwaschen, die...« Er brach abrupt ab.
»Leuten, die was?«
»Laß es gut sein, McCone. Sagen wir,
bei den Leuten, die ich kannte, als ich ein besserer Mensch war als jetzt. Bei
den Leuten, die ich kannte, als Dinge wie ein guter Name noch Bedeutung
hatten.«
Mehr sollte ich im Moment zu diesem
Thema nicht erfahren. »Okay, wie willst du das anstellen?«
»Verdammt noch mal, wenn ich das erst
wüßte.«
Ich biß mir auf die Lippe und dachte
eine Zeitlang nach. Es gab mehrere Möglichkeiten, aber ich wußte nicht genau,
ob sie sicher genug waren, meine Freiheit — und vielleicht mein Leben — zu
garantieren.
Ich stieg aus dem Wagen und ging zu der
Mauer am Rand der Klippe. Weit unten brandeten die Wellen an die Felsen. Das
Wasser sprühte hoch und fiel in Kaskaden zurück. Für einen Moment versuchte
ich, alle Risiken und Chancen abzuwägen sowie meinen Spielraum für Fehler und
Irrtümer einzuschätzen. Doch dann gab ich es auf, weil ich ein für alle Male
wußte, daß ich nicht zu den Frauen gehörte, die auf Nummer Sicher gehen.
Hy war mir gefolgt. Er legte mir die Hände
auf die Schultern, und ich spürte die Wärme seines Körpers an meinem Rücken.
»Es ist nicht dein Job, McCone«, sagte er.
Etwa das gleiche hatte er mir ein paar
Monate zuvor in einer Mondnacht gesagt, bevor wir ins Stone Valley gefahren
waren. »Das ist nicht dein Kampf, McCone.« Und ich hatte geantwortet: »In
mancher Beziehung nicht, in anderer doch.«
In diesem Augenblick dachte ich an
Timothy Mournings angstverzerrtes Gesicht auf dem Foto, das man RKI geschickt
hatte, an seine Benommenheit und Verwirrung gestern abend auf der Terrasse. Und
ich dachte an das Versprechen, das ich mir selbst gegeben hatte, als ich
aufgebrochen war, Hy zu suchen.
Ich wiederholte, was ich vor Monaten
gesagt hatte. »In mancher Beziehung nicht, in anderer doch. Außerdem weiß ich,
daß du nicht in die Staaten zurückgehst, und ich gehe nicht ohne dich.«
Seine Hände umfaßten meine Schultern
fester. Ich spürte, wie er nach Worten rang, und fügte hinzu: »Also, Ripinsky,
bringen wir Tim Mourning und seine zwei Millionen Dollar nach Hause.«
24
Als erstes mußten wir für ein
zivilisierteres Aussehen sorgen. Wir wuschen uns im eiskalten Meerwasser. Hy
rasierte seinen Stoppelbart ab und zog frische, wenn auch zerknitterte Sachen
an. Ich verbesserte an mir, was mit Kamm und Make-up möglich war. Dann fuhren
wir nach Norden in Richtung Ensenada.
Wir kamen an keinen Polizeipatrouillen
und keinen Straßensperren vorbei. Fontes, als wohlhabender und einflußreicher
Bürger, hatte offenbar die Polizei davon überzeugen können — wahrscheinlich mit
einem entsprechenden Schmiergeld — , daß es nicht zu ihren Aufgaben gehörte,
sich um ein Verbrechen zu kümmern, das durch einen Streit unter Amerikanern
ausgelöst worden war. Daher hatte die Polizei die Beschreibungen des Mannes,
der am Strand gesehen worden war, und der Frau mit der Kamera wohl höchstens an
die US-Grenzkontrollen weitergegeben und um Zusammenarbeit gebeten, aber mehr
auch nicht.
Während ich fuhr, besprachen wir unsere
nächsten Schritte. Ich hatte mir etwas zurechtgelegt, womit wir möglicherweise
Ann Navarro unter Druck setzen konnten, doch das mußte noch genauer geprüft
werden. Ich fragte mich besorgt, wie lange die verschiedenen Personen wohl noch
in der Villa bleiben würden. Diane Mourning war vorübergehend von der
Bildfläche verschwunden, aber die anderen
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