Wölfe und Kojoten
konnten nicht wissen, was sie der
Polizei am Ende alles erzählte — oder was sie unternehmen würde, wenn sie sich
wieder erholt hatte. Nach Lage der Dinge würden sich Fontes und Navarro wohl
schnell einig werden und das Akkreditiv so bald wie möglich einlösen. Was Tim
Mourning anging, so hatte der Schuß auf seine Frau seine Sicherheitsgarantie um
kurze Zeit verlängert. Einen zweiten Zwischenfall in der Villa konnten selbst
Cops, die sonst nicht abgeneigt waren, wegzusehen, nicht mehr ignorieren.
Natürlich könnte Salazar oder einer seiner Leute Mourning in die Wüste
schleppen, dort töten und verscharren. Aber das würden sie kaum an einem Tag
versuchen, an dem das Haus so ins Blickfeld der Polizei geraten war.
Daß heute Sonntag war, war ein Vorteil
für Hy und mich. Vor morgen früh konnte niemand etwas mit dem Akkreditiv
unternehmen. Vielleicht würde einer von ihnen heute mit dem Papier nach Mexico
City fliegen, aber das war eher unwahrscheinlich. Das Akkreditiv war ohnehin
nur von sekundärer Bedeutung. An erster Stelle stand die Rettung Tim Mournings,
und dafür mußten wir uns beeilen. Noch bevor wir Ensenada erreichten, hatten
wir alle Einzelheiten festgelegt. Vieles mußte vorbereitet werden, und das sehr
sorgfältig. Das Außerachtlassen eines einzigen Details wäre Mournings sicheres
Todesurteil. Schweigend kamen wir überein, nicht über die Vorwürfe zu reden,
die wir uns machen würden, wenn der Plan fehlschlug.
In Ensenada stoppten wir an einer
Telefonzelle, und Hy rief die Unfallstation an, in die Diane Mourning nach
Tomás’ Auskunft gebracht worden war. Es hieß, nachdem sich ihr Zustand
stabilisiert habe, sei sie auf Wunsch ihres Arztes ins Cabrillo Hospital in San
Diego geflogen worden. Nein, die Polizei habe Señora Mourning nicht vernommen.
Ihr Zustand sei noch kritisch gewesen.
Wir fuhren weiter nach Norden, diesmal
nach Tijuana in die Avenida Revolución, die bunte Einkaufsstraße für Touristen.
Hy wartete im Wagen, und ich eilte den bevölkerten Gehsteig entlang, wich
Straßenhändlern und ihrem Schmuckangebot aus und ignorierte die dringenden
Einladungen der Ladenbesitzer, die einen auf der Straße anmachten wie Aufreißer
für eine schmuddelige Sexshow. In einem Kleidergeschäft kaufte ich ein bunt
besticktes Kleid und ein Paar Sandalen. Ein paar Häuser weiter kaufte ich in
einem anderen Laden ein paar typische Touristenartikel — einen Umhang,
Marionetten, eine Pinata, einen Sombrero und ein paar Holzschnitzereien.
Beladen mit diesem ganzen Kram eilte ich durch das karnevalähnliche Treiben zum
Wagen zurück und legte ihn auf den Rücksitz. Kurz nach zwei Uhr nahmen wir uns
ein Zimmer im Hotel Fiesta Americana Tijuana am Boulevard Agua Caliente.
Anfangs hatte sich Hy gegen meine
Hotelwahl gewehrt. Es widersprach seinem Sinn für Sparsamkeit, soviel Geld für
einen Platz auszugeben, an dem man nur schlafen wollte. Allerdings gab er nach,
als ich ihm klarmachte, daß die Polizei, sollte sie uns wirklich suchen, kaum
in den teuersten Hotels nach einem Landstreicher suchen würde, der weiter
südlich am Strand geschlafen hatte. Dennoch blieb er soweit seinen Prinzipien
treu, als er mich die Rechnung mit meiner Kreditkarte bezahlen ließ. Unser
Zimmer lag im achtzehnten Stock eines von zwei Türmen, aus dem unser Hotel
bestand. Kaum hatte es der Hotelboy verlassen, suchte ich in meiner Tasche das
Fax des Akkreditivs, das Renshaw mir ins Bah Kai geschickt hatte. Oben stand
mein vierstelliger RKI-Sicherheitscode. Ich wählte die RKI-Nummer in La Jolla
an und erfuhr, daß das Büro geschlossen sei. Im Notfall solle ich die 1 und meinen
Sicherheitscode eingeben und am Apparat bleiben. Ich tat es und wartete. Ein
Mann meldete sich. Ich nannte meinen Namen und verlangte Gage Renshaw zu
sprechen.
Der Mann zögerte den Bruchteil einer
Sekunde und sagte dann: »Geben Sie mir Ihre Nummer, Miss McCone. Ich sorge
dafür, daß Mr. Renshaw Sie innerhalb der nächsten Viertelstunde zurückruft.«
»Nein«, sagte ich, »holen Sie ihn ins
Büro, ich rufe noch einmal an.«
Wieder eine Pause. »Ich rufe ihn per
Funk.«
Und versuche, Ihren Anruf
zurückzuverfolgen, ergänzte ich. »Sorgen Sie dafür, daß er in einer
Viertelstunde da ist«, sagte ich und hängte ein.
Hy beobachtete mich mit einem leichten
Lächeln auf den Lippen. »Du hast deinen Job gelernt, McCone.«
»Na ja, es sieht vielleicht so aus.
Aber eigentlich fühle ich mich wie ein Kind, das nicht einmal weiß, in
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