Wölfe und Kojoten
Tijuana-Seite auflauern.«
»Das ist schlimm.«
»Ja. Sie wissen ja, wie es dort zugeht.
Man sitzt im Wagen, und der steht in einer Schlange. Auf der anderen Seite des
Zauns kann einen jemand von Colonia Libertad aus leicht mit dem Gewehr aufs
Korn nehmen. Zu Fuß ist es noch gefährlicher. Man befindet sich näher am Zaun
und wird durch diesen Gang im Freien zum Zollgebäude geschleust. Drinnen setzt
sich dieser Gang noch ein ganzes Stück fort, bis man zu den Beamten kommt. Da
kann praktisch jeder hineinschlüpfen, wild um sich schießen und wieder
verschwinden.«
»Sie glauben wirklich, daß jemand
hinter Ihnen her ist?«
»Ja.«
»Warum?«
»Das kann ich jetzt nicht erklären.«
Er dachte nach. »Warum gehen Sie nicht
in Tecate oder Calexico über die Grenze? Oder fliegen?«
»Wenn sie schon jemanden in San Ysidro
haben, dann haben sie auch diese Grenzübergänge und den Flughafen abgedeckt.
Und die Gefahr wäre dort sogar noch größer, weil ich die Gegend nicht kenne.«
Luis schwieg und trank einen Schluck
Bier. »Hat es mit Salazar zu tun?«
»Unter anderem.«
Wieder dachte er einen Moment nach.
»Wissen Sie, ich fahre nicht gern hinüber, obwohl ich die Grüne Karte habe und
jederzeit zurückkann. Ein Mann mit meiner Nebenbeschäftigung — na ja, Sie
wissen schon. Aber diesmal sehe ich eine Möglichkeit. Ich bin es Ihnen
schuldig.«
»Wieso?«
»Wegen Ana. Sie ist zu der Ärztin
gegangen, die John mir genannt hat. Erinnern Sie sich, daß ich sagte, irgend
etwas stimme nicht mit der Schwangerschaft? So war es. Irgendwelche
Frauengeschichten, von denen ich nichts verstehe und auch nichts verstehen
will. Aber die Ärztin sagte, wenn sie später gekommen wäre, hätte es schlimm
ausgesehen. Die Ärztin, diese Gina, hat Ana ein paar Tage in der Klinik
behalten und sie wirklich gut versorgt. Und sie hat nur das verlangt, was Ana
bei sich hatte, genau zweihundertfünfundneunzig Scheine. Jetzt ist sie wieder
auf dem Weg nach Hause.«
Mir war gleich klar, daß John selbst
für alle Mehrkosten aufgekommen war. Was für ein guter Kerl, mein großer
Bruder.
»Deshalb bin ich Ihnen etwas schuldig«,
fügte Luis hinzu. »Ich werde Sie und Ihre Freunde über die Grenze bringen.«
Ich konnte nicht zulassen, daß er das
tat. »Nein, soviel schulden Sie mir nicht. Wenn Sie mir jemanden nennen, dann
sind wir quitt.«
»Mit mir wären Sie besser dran.«
»Aber Sie wären nicht besser dran, wenn
Sie in diese Geschichte verwickelt würden. Ich möchte, daß Sie hier den
Menschen helfen, die Ihre Hilfe brauchen. Und für mich ist es da unten
leichter, wenn es eine rein geschäftliche Angelegenheit bleibt.«
Er dachte einen Moment lang nach und
starrte mit leerem Blick auf den Bildschirm. Dann sagte er: »Okay« und nahm
eine Serviette. »Haben Sie einen Stift?«
Ich nickte und angelte einen aus meiner
Tasche. Luis schrieb zwei Namen mit Adressen und Telefonnummern auf. »Dem
ersten Burschen hier vertraue ich, aber Sie sollten sich nur dann an ihn
wenden, wenn Sie den anderen nicht erreichen. Er entspricht nicht ganz Ihren
Anforderungen — er ist nicht hart und nicht clever genug. Der andere ist
durchtrieben. Er nimmt Sie aus wie eine Weihnachtsgans, wenn Sie nicht
aufpassen. Aber ich glaube, Sie haben das Zeug dazu, ihn im Zaum zu halten, und
wenn Ihnen das gelingt, bringt er Sie rüber.«
Ich steckte die Serviette in die
Tasche. »Wieviel verlangt er?«
»Wie viele Personen, sagten Sie?«
»Drei, möglicherweise vier.«
»Am Anfang wird er die Summe sehr hoch
ansetzen, weil er weiß, daß Sie in Schwierigkeiten sind. Aber mit fünf- oder
sechshundert Dollar wird er sich dann zufriedengeben.«
»Danke, Luis. Ich bin Ihnen wirklich
sehr dankbar.«
»Und Sie haben keine andere
Möglichkeit?«
»Ich fürchte, nein.« Ich sah auf die
Uhr. Halb fünf. »Ich bin jetzt mit jemandem verabredet, der mir helfen könnte.
Aber ich bezweifle, daß er es auch tun wird.«
»Warum?«
Ich zögerte. Luis würde es bestimmt
nicht begreifen können, daß es zu den Grundsätzen von RKI gehörte, Mexiko nicht
zu betreten, und ich hatte keine Zeit, es ihm zu erklären. »Er wird es einfach
nicht wollen, das ist alles«, sagte ich und ließ mich vom Barhocker gleiten.
»Dann ist er ein Arschloch.« Luis stand
ebenfalls auf und folgte mir zur Tür. »Wo steht Ihr Wagen?«
»Vor Ihrem Haus.«
»Ich begleite Sie. Ich sitze ohnehin
viel zuviel in dieser verdammten Kneipe herum.«
Wir gingen in wohltuendem
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