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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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Navarro sah noch immer auf das Meer
hinaus. Ich war ein gutes Stück außerhalb ihres Blickwinkels. Meine Hände
suchten Halt auf der Mauer, so daß ich mich hinaufziehen konnte. Ich rollte mich
auf die Mauerkrone und schwang die Beine hinüber, um mich dann fallen lassen zu
können. Nun zog ich die Waffe aus dem Gürtel und ließ mich auf den
Terrassenboden hinuntergleiten. Mit gespreizten Beinen stand ich da, den
Revolver in den ausgestreckten Händen.
    Ann Navarros Kopf fuhr herum. Sie
wollte sich umdrehen.
    »Keine Bewegung«, sagte ich leise, »und
keinen Lärm!«
    Sie erstarrte.
    »Meine Waffe ist auf Ihren Rücken
gerichtet. Gehen Sie nach rechts, bis Sie die Seitenwand berühren!«
    Steif tat sie, was ich gesagt hatte.
    »Jetzt rückwärts hierher!«
    Mit starr nach vorn gerichtetem Blick
kam sie rückwärts auf mich zu. Eine beherrschte Frau, diese Navarro.
    »Gut«, sagte ich, trat einen Schritt
vor und tastete sie nach Waffen ab.
    »Was wollen Sie?« Ihr Englisch hatte einen
überraschend deutlicheren Akzent. Wegen ihres harten spanischen Tonfalls hatte
Hy sie bei ihrem Anruf und der Lösegeldforderung für eine Mexikanerin gehalten.
»Ihnen etwas von Stan berichten.«
    »Von Stan? Was...«
    »Sie können sich jetzt umdrehen. Aber langsam.«
    Sie tat es, und dabei glitt ihr Blick
rasch über mein Gesicht und von dort zum Revolver. Die Anspannung hatte Furchen
in ihre Mund- und Augenwinkel gegraben. Sie sah um Jahre älter aus als am Abend
zuvor durch mein Teleobjektiv.
    »Wer sind Sie?« fragte sie.
    »Ich arbeite für RKI.«
    Sie atmete hastig ein.
    »Ich weiß über die Entführung Bescheid
und über die Rolle, die Sie, Stan und Diane dabei gespielt haben.«
    »Ich habe nichts...«
    »Ich habe heute nachmittag Diane im
Krankenhaus besucht.«
    »Diane! Das kann nicht sein. Gilbert
hat gesagt...«
    »Was hat er gesagt?«
    »Daß sie tot ist.«
    »Nein, ihr Zustand ist zwar kritisch,
aber sie wird durchkommen.«
    »Gilbert hat gesagt, sie sei auf dem
Transport nach Ensenada gestorben.«
    »Man hat sie dort in der Unfallstation versorgt
und sie dann nach San Diego geflogen. Es ist Fontes zu verdanken, daß sie aus
Baja herauskam, ohne daß sie nach der Schußverletzung befragt wurde.«
    »O Gott!« Ann Navarro legte die Hände
vor ihr Gesicht und preßte die Finger auf die Augen.
    »Wer hat auf Diane geschossen?« fragte
ich.
    Sie schüttelte den Kopf.
    »Wissen Sie es nicht?«
    Schweigen.
    »Es hat keinen Sinn, länger zu
verschweigen, was hier passiert ist.«
    Keine Antwort.
    »Ich habe Stan am Donnerstag in San
Diego gesehen«, sagte ich. »Das ist unmöglich. Stan ist in Mexico City...« Sie
biß sich auf die Lippen und preßte sie zusammen.
    »Haben Sie mit ihm gesprochen?«
    »...Nein.«
    »Woher wissen Sie dann, daß er wirklich
dort ist?«
    »Gilbert hat gesagt...«
    »Genau, wie er gesagt hat, Diane wäre
tot.«
    Ann Navarro nahm die Hände von ihrem
Gesicht und sah mich prüfend an. Sie schien abzuwägen, was ich gesagt hatte.
»Gut, wo haben Sie Stan in San Diego gesehen?«
    »Im Leichenschauhaus. Er ist tot. Er
ist seit Sonntag abend tot, als er das Akkreditiv übernehmen wollte. Marty
Salazar hat ihn erschossen.«

28
    Ann Navarro reagierte nicht so, wie ich
es erwartet hatte. Nach ganz kurzem Zögern sagte sie: »Sie lügen.«
    »Es gibt einen Augenzeugen für die
Schießerei. Er ist am Strand.« Irgendwo dort unten und nach meinem Verschwinden
wahrscheinlich in Panik. »Und die Polizei von San Diego hat Stans Leiche
identifiziert. Sie haben versucht, Sie zu erreichen, bald nach Ihrem Eintreffen
hier.«
    Sie sah mir prüfend ins Gesicht, und
ihr Ausdruck ließ keinen Schluß auf ihre Gedanken zu.
    Ich zog einen Zettel aus meiner Tasche,
auf dem ich Gary Viners Namen und Telefonnummer notiert hatte. »Hier. Das ist
der Kriminalbeamte, der für diesen Fall zuständig ist. Er wird es Ihnen
bestätigen.«
    »Das Ganze ist eine Finte.«
    »Das glauben Sie doch nicht wirklich?«
    Sie warf einen Blick auf das Papier,
biß sich auf die Lippen und griff dann nach dem Zettel. »Ich werde ihn anrufen.
Warten Sie hier.«
    Angesichts meiner Waffe war das schon
ein herausforderndes Benehmen, das mich beeindruckte und amüsierte zugleich.
»Nein, so läuft das nicht.«
    »Wie dann?« Jetzt wurde sie ungeduldig.
    »Wir nehmen den Weg, den ich gekommen
bin. Über die Mauer und den Strand zum Strandzugang hinauf. Dort steht ein
Wagen mit Mobiltelefon. Von dort aus können Sie Viner anrufen.«
    Ann Navarro

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