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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcia Muller
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selbst schützen.«
     
     
     
     
     

13
    Bevor wir losfuhren, fragte ich John,
ob in den Kartons auch Kleidung von Karen war, die etwa meine Größe hatte. Er
sagte, ich solle nachschauen, und ich wurde fündig: Jeans, Hemden, T-Shirts und
Pullover — vielleicht nicht gerade geeignet für eine Braut auf romantischer
Italienreise, aber bester Ersatz für die Sachen, die ich am Leib hatte und mit
denen ich mich inzwischen nicht mehr gut sehen lassen konnte. Ich zog mich um
und ging nach draußen. John saß auf dem Fahrersitz des Scout. Nach einigem
Schmeicheln und Drohen rutschte er hinüber, und schließlich steuerte ich den
Wagen in Richtung South Bay.
    National City ist Hafenstadt,
Arbeiterstadt und Einwandererstadt. Sie beherbergt leichte Industrie,
Lagerhäuser, Wohnwagensiedlungen und die berühmte Autohändlermeile. Ana Orozco
wohnte in einem altmodischen Apartmenthaus an der F-Avenue, ein paar Blocks vom
Highland entfernt. Die enge Straße war schlecht gepflastert und hatte keine
Gehsteige. Sie war von alten Pfefferbäumen gesäumt und endete am Freeway. Die
meisten Häuser waren California-Bungalows aus den zwanziger Jahren. Die etwa
gleichaltrigen einstöckigen verputzten Apartments waren in U-Form angeordnet,
und das Pflaster der Gehsteige zwischen den Gebäuden war rissig und mit
Spielzeug und Dreirädern übersät. Ich ließ John im Wagen zurück. Er mußte mir
versprechen, sich nur zu rühren, wenn er grauenhafte Schreie hörte, die
eindeutig mir zuzuordnen waren. Dann bahnte ich mir meinen Weg über den
Hindernisparcours zum Apartment sechs.
    Es dauerte eine Weile, bis Ana Orozco
zur Tür kam. Dann musterte sie mich über die Sicherheitskette hinweg genau.
Unter ihren rotgeränderten Augen lagen dunkle Ringe. Ich sagte ihr, wer ich
war, und zeigte ihr die dreiundsiebzig Dollar. Daraufhin ließ sie mich in einen
dürftig möblierten Raum mit Linoleumfußboden eintreten. Die Vorhänge waren
gegen die heiße Nachmittagssonne zugezogen. Sie wies auf ein schäbiges Sofa,
ließ sich selbst in einem ebenso schäbigen Sessel nieder, wickelte sich in eine
Decke und zitterte trotz der Hitze im Zimmer. Sie war nicht älter als achtzehn.
    Ich legte das Geld auf den Couchtisch
und fragte: »Sprechen Sie englisch?«
    Sie nickte.
    »Wie geht es Ihnen? Sie sehen nicht gut
aus.«
    »Es wird mir bald bessergehen.« Ihr
Blick wanderte zum Geld. »Bekommen Sie denn sofort einen Termin in der Klinik?«
    Sie antwortete nicht, und für einen
Moment glaubte ich, sie hätte mich nicht verstanden. Dann suchte sie in der
Polsterritze ihres Sessels nach einem Taschentuch. Sie weinte.
    »Miss Orozco... Ana«, sagte ich.
    Sie hob die Hand. »Nein, ich bin okay.
Es ist... Ich weiß, das, was ich vorhabe, ist falsch. Sind Sie católico ?«
    »Ja.« Zumindest bin ich katholisch
erzogen worden.
    »Dann müssen Sie ja wissen, wie ich
mich fühle«, sagte sie. »Ich habe an das alles... gar nicht geglaubt, bevor ich
wußte, daß ich ein Kind bekam. Ich bin nicht verheiratet. Der Junge ist
davongelaufen, als ich es ihm sagte. Im September gehe ich zur Universität in
Mexico City, aber...« Sie brach ab, starrte mich düster an und setzte hinzu:
»Ich weiß, ich werde mein ganzes Leben lang ein schlechtes Gewissen haben. Aber
ich möchte eines Tages Kinder haben, und es soll ihnen besser gehen als mir.
Sie sollen nicht für meinen Fehler büßen.«
    »Ich verstehe.«
    Sie fuhr fort, wohl um sich selbst von
der Richtigkeit ihres Tuns zu überzeugen. »Meine Schwester ist vor ein paar
Jahren bei einem Doktor in Santa Rosalia gewesen, wo wir wohnen. Er hat ihr
etwas gegeben, das in Mexiko nicht verboten ist... Es bewirkte eine Blutung,
aber sonst nichts. Tres meses danach hatte sie einen malparto —
eine Fehlgeburt — und ist an der infección fast gestorben. Jetzt kann
sie keine Kinder mehr bekommen. Das möchte ich so nicht erleben.«
    »Es ist gut, daß Sie hierhergekommen
sind und sich für ein sicheres Verfahren entschieden haben. Ich bin froh, daß
ich Ihnen helfen kann.«
    »Das sagen Sie, und sind doch católico?«
    Dann schien sie sich auf den Grund
meines Besuchs zu besinnen. »Was wollen Sie denn nun von mir wissen?«
    Ich reichte ihr Hys Foto. Sie sah es an
und nickte. »An den Mann kann ich mich erinnern. Der Freund, bei dem ich hier
wohne, hat mich von der Grenze zu dem Laden gefahren. Er sagte mir, der Mann
dort wird mir eine gute Klinik nennen. Er« — sie tippte mit dem Finger auf das
Foto — »kam auf mich zu, bevor

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