Wölfe und Kojoten
solche
Selbstgespräche?«
»Recht oft, aber normalerweise nur in
Gedanken. Aber wo du jetzt hier bist... Also, du vertrittst sozusagen meine
Katzen.«
»Wie bitte?«
»Wenn eine meiner Katzen in der Nähe
ist, denke ich laut. Wirkt nicht so albern, wenn etwas da ist, das zuhört.«
»Etwas?«
»Oder jemand. Hör mal, willst du dich
nützlich machen?«
»Ich weiß nicht, nach diesem
Katzen-Kommentar.«
»Tu es trotzdem. Ruf Pete an und bitte
ihn, sich mit dem Kerl im Holiday Market in Verbindung zu setzen. Ich möchte
wissen, ob es in Ordnung ist, wenn ich Abrego sage, er — wie heißt er noch?«
»Vic.«
»Ob es in Ordnung ist, wenn ich Abrego
sage, Vic habe mich geschickt, für den Fall, daß es nicht reicht, wenn ich
sage, ich käme von Ana. Und Pete soll Vic auch noch fragen, ob er etwas über
Abrego, die Navarro oder Brockowitz weiß. Kapiert?«
»Ja, Boss.« John zwängte sein langes
Fahrgestell aus dem Scout. »Gleich um die Ecke habe ich einen Tante-Emma-Laden
mit einem intakten Münztelefon gesehen. Darf ich dich hier allein lassen?«
»Ich schlage alle Straßenräuber in die
Flucht, indem ich sie einfach über den Haufen fahre.«
Doch kaum war er außer Sichtweite,
beschlich mich ein ungutes Gefühl — ein Gefühl, als würde ich beobachtet. Ich
sah in den Rück- und die beiden Außenspiegel. In den parkenden Wagen war
niemand zu entdecken und auch nicht in den kleinen überwucherten Höfen. Nur die
Zweige der Pfefferbäume bewegten sich leicht. Die zerlumpten Kinder waren
verschwunden. Doch das Gefühl blieb, und ich ließ mich tiefer in den Sitz
gleiten. Selbst an einem hellen Sommernachmittag wie diesem gab es in dieser
schäbigen kleinen Sackgasse dunkle Nischen, in denen ein Beobachter sich
verstecken konnte.
Zügle deine Phantasie, rief ich mich
zur Ordnung. Gegen zwei Uhr hatte mich RKI noch nicht ausfindig gemacht. Da war
einer von ihren Leuten Rae zum Remedy gefolgt. Es war unwahrscheinlich, daß sie
über John so schnell auf meine Spur gekommen waren, zumal sich seine Identität
hinter Mr. Paint verbarg. Ich hatte meine Spur perfekt verwischt.
Oder?
Als John die Beifahrertür öffnete, fuhr
ich mit einem Ruck hoch. »Angst?« fragte er spöttisch.
»Quatsch. Was hast du herausbekommen?«
»Vics Namen kannst du erwähnen. Aber
weder er noch Pete wissen irgend etwas über Brockowitz oder die Navarro. Und
Abrego — der ist so etwas wie ein Kojote.«
»Du meinst, einer von den Leuten, die
Illegale über die Grenze schleusen?«
»Deswegen sagte ich ›so etwas wie‹. Er
nimmt sie an der Grenze in Empfang und bringt sie, wohin sie wollen. Tagsüber
arbeitet er als Dachdecker. Er gehört zu einer Organisation namens Libertad,
und für die arbeitet er nachts. So, wie Pete es schildert, betreiben diese Burschen
eine Art Untergrund-Verschiebebahn. Er sagt, Abrego sei wirklich ehrlich und
nehme nur, was er selbst zum Leben braucht.«
»Wie kommt es, daß bei Pete alle
Heilige zu sein scheinen?«
John zuckte ärgerlich mit den
Schultern. »Wie kommt es, daß du so zynisch bist?«
»Wenn du erlebt hättest, was ich erlebt
habe...«
»In all den Jahren. Ja, ja.«
»John!«
»Ach, Scheiße, laß uns nicht streiten,
okay?«
Ich gab keine Antwort. Dann sagte ich
mir, wie albern es doch sei, sich über nichts und wieder nichts zu ärgern.
»Danke, daß du für mich angerufen hast.«
»De nada.«
»Ich wollte deinen Freund nicht
schlechtmachen.«
»Ich wollte dich nicht schlechtmachen.
Ich verstehe nur nicht, warum du in diesen Leuten nicht auch etwas Gutes sehen
kannst. Schließlich warst du es doch, die heute morgen für die Rechte der
Illegalen gefochten hat.«
Er hatte recht. Vielleicht verfocht ich
ja die Rechte von Minderheiten lieber auf der abstrakten Ebene als auf der
konkreten. Sollte das zutreffen, störte es mich sehr. »Ich glaube«, sagte ich,
»ich neige inzwischen dazu, nichts Unbewiesenes zu akzeptieren.«
»Was hat dich soweit gebracht?«
Ich seufzte. »Das ist ein weites Feld.
Wenn wir diese Geschichte hinter uns haben, werde ich versuchen, es dir zu
erklären. Bis dahin muß ich dir die Erklärung schuldig bleiben.«
»Du schuldest mir schon eine ganze
Menge mehr. Du stehst bei mir bereits mit einem Frühstück, einigen
Telefongesprächen, der Benutzung des Scout und zweihundert Scheinen in der
Kreide. Und wenn Karen zurückkommt, muß ich ihr auch noch das Verschwinden
ihrer Sachen erklären. Sie kann ziemlich unangenehm werden.«
Ich lächelte und sah auf
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