Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
laut ihren eigenen Angaben, die Wohnungstür offen und die alte Frau bewußtlos am Boden liegend vor. Man hatte sie brutal niedergestoßen und geschlagen. Die Schränke waren durchwühlt, es fehlten Bargeld und der ganze Schmuck. Damals wurden die Täter nicht gefaßt. Erst später kamen die Ermittler auf die Spur eines gewissen Stefan Hinrichs.«
»Den kenne ich«, unterbrach Hannes den Bericht seiner Kollegin und wandte sich an Robin. »Das heißt, ich habe über ihn gelesen. Das ist ein Straftäter, der während eines Arbeitseinsatzes in der Gärtnerei aus dem Maßregelvollzug des Landeskrankenhauses Wunstorf geflohen ist.«
»Genau«, bestätigte Sabrina Reinecke und fuhr mit ihrem Bericht fort: »Im Zusammenhang mit dem Einbruch bei Sharifas Großmutter deutete zunächst gar nichts auf ihn. Er ist später von einem Kumpanen verraten worden, einem gewissen Boris Sieloff.«
»Der Tote aus der Ökosiedlung«, warf Hannes ein.
»Boris Sieloff war ein Mitläufer, das überbehütete Bürschchen, das auf der Suche nach dem besonderen Kick an die falschen Leute geraten war. Er war gerade beim Autoknacken erwischt worden, und anhand seiner Fingerabdrücke kam man auf den Einbruch bei Sharifas Großmutter. In der Vernehmung brach er zusammen, gestand den Einbruch und belastete dabei auch seinen Komplizen Stefan Hinrichs.«
Sabrina Reinecke machte einen großen Schluck, ehe sie weiterredete: »Die Polizei hatte Sharifa damals unterstellt, mit den Tätern unter einer Decke gesteckt zu haben. Es gab da nämlich einige Ungereimtheiten. Zum Beispiel hatte Sharifa Prellungen im Gesicht, deren Ursache sie nicht erklären wollte, und ein Nachbar sagte aus, er habe das Mädchen schon zwei Stunden früher nach Hause kommen sehen. Es wurde vermutet, daß Sharifa bei dem Überfall sehr wohl anwesend gewesen war.«
»Aber die Großmutter hätte es doch bestätigen können, wenn es so war?« fragte Hannes.
»Die alte Frau Sendler hatte sich einen Bruch des Schlüsselbeins und eine Gehirnerschütterung zugezogen. Da sie gleich am Anfang bewußtlos geschlagen worden war, konnte sie nicht viel sagen. Nach dem Überfall ging sie kaum noch vor die Tür, war verängstigt und starb drei Monate später. Ihr Lebenswille war gebrochen worden. In dieser Zeit veränderte sich auch Sharifa. Sie begann bei der Arbeit zu fehlen, sie ließ ihr Studium schleifen, Freunde beschrieben sie als grundlos aggressiv. Es kam zu Szenen am Arbeitsplatz. Einen Koch, der einen rüden Witz machte, überschüttete sie mit Öl und versuchte ihn anzuzünden. Sie verlor ihren Job. Nach dem Tod ihrer Großmutter und einem fehlgeschlagenen Selbstmordversuch mit einem Gasherd landete sie wieder in Wunstorf, zunächst in der Geschlossenen, dann in einer offenen Wohngruppe. Sie hat mit den Therapeuten nie über den Überfall gesprochen, aber sie schien im Landeskrankenhaus besser klarzukommen. Sie fühlte sich offenbar beschützt dort. Sie hat sogar einen Selbstverteidigungskurs gemacht und betrieb aktiv Karate.«
»Man glaubt tatsächlich, daß sie ihre eigene Großmutter ausgeraubt hat?« meldete sich erstmals Robin zu Wort.
»Die Polizei zog es in Erwägung«, stellte Sabrina richtig. »Es gibt allerdings noch eine andere Theorie. Dieser Hinrichs war damals neunzehn und drogenabhängig. Er stammt aus katastrophalen Familienverhältnissen und war schon 2001 wegen Körperverletzung und versuchter Vergewaltigung verurteilt worden und auf Bewährung draußen. Möglicherweise kam es während des Einbruchs zu ähnlichen Vorfällen. Das würde auch zu den Prellungen in Sharifas Gesicht passen. Und gewisse Verhaltensweisen, die sie während der Therapie zeigte, deuten ebenfalls eher auf diese Variante hin. Aber sie hat immer wieder standhaft behauptet, sie sei während des Einbruchs nicht dagewesen. Man kennt das ja: die Scham der Opfer.«
»Darf ich ganz indiskret fragen, woher du das alles so detailliert weißt?« fragte Hannes und machte keinen Hehl aus seiner Bewunderung.
»Ich mußte dafür meine ganzen alten Affären mit der Kripo wieder aufwärmen.«
»Und das an einem Nachmittag!« Hannes tauschte ihr leeres Glas gegen ein volles.
»Die nächsten Wochen werde ich beschäftigt sein, die vielen Versprechungen zu erfüllen, die ich machen mußte, um an all diese Informationen zu kommen. Was die Psychiatrie angeht, ich bin mit einer Therapeutin, die dort arbeitet, zur Schule gegangen. Die hat mir einiges erzählt. Ich muß dich nicht darauf hinweisen, daß diese
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