Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
lautete: kein Netz .
Die Sonne blinzelte durch die Jalousie und vermittelte Robin ein sommerliches Gefühl, obwohl die Luft, die durch den offenen Spalt am Fenster hereindrang, kühl war. Robin mochte es, aufzustehen, ans Fenster zu gehen und die Jalousie wie einen Theatervorhang hochzuziehen. Es war jeden Tag aufs neue spannend. Welche Farbe hatte der Himmel, wie tief hingen die Wolken, wie hoch stand die Sonne, gab es Frost oder Tau oder gar Schnee, drehten sich die Windräder, bog der Wind die Baumkronen, oder standen sie still, gab es auf den Feldern Hasen, Krähen, Bussarde, Reiher oder Katzen zu beobachten, hockten die Turmfalken in den Bäumen, oder standen sie in der Luft, wessen Traktoren fuhrwerkten mit ihren diversen Gerätschaften herum, waren auf den Feldwegen Hundespaziergänger und Radfahrer zu sehen, fuhr gerade die S-Bahn vorbei, kreuzten sich zwei Bahnen, oder kam ein Güterzug, bei dem man die Aufschriften auf den Waggons lesen konnte: Audi, VW , skandinavischeund russische Beschriftungen. Jeder Morgen bot eine neue Kulisse, und nur wegen dieses Überraschungseffektes ließ Robin am Abend überhaupt die Jalousien herunter. An diesem Sonntagmorgen wurde er wirklich überrascht. Die Felder, die an die S-Bahn angrenzten, waren mit gelbem Plastikband eingezäunt worden. Vier Streifenwagen und drei Zivilfahrzeuge parkten auf dem Weg. Menschen standen vor der Absperrung, manche hatten ihr Fahrrad dabei. Ein Trupp uniformierter Polizisten ging langsam über das frisch eingesäte und noch kahle Zuckerrübenfeld, ihnen voran jeweils ein Hund. Robin zählte fünf Schäferhunde und drei andere Hunde, die er keiner Rasse zuordnen konnte. Er holte sein Fernglas und beobachtete damit, wie sich die Hunde mit den Nasen am Boden voranbewegten, sie schienen es eilig zu haben, wurden aber von ihren Führern zurückgehalten, damit sie ordentlich in einer Linie vorrückten. Ab und zu setzte sich ein Hund hin, und der dazugehörige Mensch lobte das Tier, streifte sich einen Latexhandschuh über und hob etwas vom Boden auf. Unter den Schaulustigen erkannte Robin durch das Glas den alten Gamaschke, der mit unbewegtem Gesichtsausdruck dem Treiben auf seinen Feldern zusah. Es dauerte fast eine halbe Stunde, dann waren die Hunde über das Feld gelaufen und wurden zu den Fahrzeugen und in ihre Transportkisten gebracht. Die Männer in Zivil und in Uniform standen noch eine Weile herum und redeten miteinander. Gamaschke stand dabei. Ein Teil der Neugierigen fuhr davon, ebenso zwei der Streifenwagen. Die Männer in Zivil stiegen kurz darauf in ihre Wagen und fuhren in Richtung Dorf. Robin ließ die Jalousie wieder herunter und ging unter die Dusche. Er rasierte sich sorgfältig, und als er sich angezogen hatte, bemerkte er den fremden VW Golf auf dem Hof. Er registrierte gerade das Nummernschild aus Hannover, da kam Hannes mit einer blonden Frau aus der Tür.
Die Not muß groß sein, dachte Robin, die Frau paßte noch nicht einmal ins Beuteschema, altersmäßig jedenfalls. Oder war die Kripo schon wieder hier? Aber eine Kripobeamtin verabschiedete man nicht mit einem Wangenkuß, nicht einmal Hannes würde so weit gehen.
Robin ging nach unten.
»Morgen«, begrüßte er Hannes, der nachdenklich dastand und Sabrina Reineckes Golf nachschaute, der in einer Staubwolke die Allee entlangfuhr. Sie hatte Hannes versprochen, ihm so bald wie möglich Einzelheiten mitzuteilen. Sie selbst kannte nur ein paar oberflächliche Details, der Fall Sharifa Zaimeh wurde von einem Kollegen bearbeitet.
»Moin, moin«, sagte Hannes.
»Wer war das denn?«
»Wenn du öfter meine Sendung anschauen würdest, dann wüßtest du es«, sagte Hannes gespielt beleidigt. »Sie ist die schrille Staatsanwältin.«
»Hattest du nicht mal ein Prinzip: nicht mit Kolleginnen?«
»Wir arbeiten zusammen«, sagte Hannes, der es nicht fertigbrachte, Robin zu sagen, was er eben erfahren hatte: daß Sharifa Zaimeh mit Haftbefehl gesucht wurde. Wegen dringenden Mordverdachts.
»Die Polizei hat gerade Gamaschkes Rübenfeld abgesucht.« Der Satz sollte beiläufig klingen, aber Robins Stimme klang brüchig.
Hannes verlor die Beherrschung.
»Scheiße!«
Robin antwortete nicht, was Hannes ein schlechtes Zeichen schien.
»Hör zu, wir müssen uns um Klara kümmern. Da stimmt was nicht. Seit gestern abend habe ich keinen Kontakt mehr mit ihr gehabt.«
»Stell dir vor, ich habe keinen, seit sie abgefahren ist.«
»Für Eitelkeiten ist jetzt nicht der richtige
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