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Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)

Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Mischke
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Prompt ging das Licht an. Sie machte sich hinter dem Terrakottakübel so klein wie möglich. Lautlos setzten sich die Flügel des Tores in Bewegung, die Lampe vor Klaras Tür erlosch, der Van fuhr los. Hinter ihm schloß sich das Tor, die Rücklichter auf der Zufahrt wurden rasch kleiner. Es roch nach Abgasen. Nasrin erhob sich. Langsam fiel der Schrecken von ihr ab. Sie wartete, bis auch die Lampe vor der Scheune wieder ausgegangen war, dann erledigte sie endlich unbehelligt ihr Vorhaben.
    Es war kurz vor fünf. Klara stand am Waldrand und suchte mit dem Fernglas die Umgebung ab. Niemand war zu sehen. Um diese Zeit gehörte der Wald ihr. Sie öffnete die hintere Tür des Vans mit den abgedunkelten Scheiben. Geschmeidig sprangen die vier Tiere heraus, am Boden schnüffelnd eroberten sie die kleine Wiese, bis Klara sie leise rief. Sofort waren sie da, tänzelten freudig erregt um sie herum, mit kleinen Atemwolken um ihre Schnauzen. Klara schulterte ihren Rucksack, schloß den Wagen ab, dann setzte sich der kleine Trupp in Bewegung. Die vier Windräder auf dem Vörier Berg drehten sich über einer Nebelschicht, als hätten sie keinerlei Verbindung zur Erde. Ein erster Sonnenstrahl kämpfte sich durch die Schwaden und kitzelte die Baumkronen. Vögel lärmten. Die Zeit der Kälte und Dunkelheit ging zu Ende, seit zwei Tagen galt die Sommerzeit. Ab jetzt würde es schwieriger werden. Spaziergänger, Jogger, Walker, Mountainbiker würden die Wälder bevölkern und ihr die Arbeit erschweren. Obendrein würde die Jägerschaft mit frischer Mordlust aus dem Winterschlaf erwachen.
    Klara hatte den Winter gut genutzt: halb fünf Uhr aufstehen, Fahrt über leere Landstraßen und durch dösende Dörfer, dann über holprige Waldwege in den Deister oder zum Süllberg. Ein, zwei Stunden Fußmarsch, etwas Training, dann zurück aufs Gut.
    Manchmal begegnete sie bei ihrer Rückkehr Hannes, der im Feldherrenschritt den Hof seiner Liegenschaft überquerte, um am Tor die Zeitungen hereinzuholen.
     »Dir ist schon klar, daß du permanent gegen eine ganze Reihe von Gesetzen und Vorschriften verstößt?« sagte er dann, und Klara stimmte ihm lächelnd zu. Sie respektierten einander, auch wenn sie das Tun und Treiben des anderen nicht immer guthießen.
    »Du und ich, wir sind die Alphatiere in diesem Laden«, hatte Hannes alsbald erkannt.
    Die Luft war noch kühl. Klara atmete schwer. Sie war müde. Die letzten Monate hatten an ihren Kräften gezehrt: das frühe Aufstehen, Kälte, Regen und Schnee. Jeden Morgen mußte sie sich wieder überwinden: Stell dich nicht so an, Klara. Was ist der Deister gegen die Wälder Finnlands? Sei froh, daß du nicht in Zelten schlafen und keinen schweren Rucksack schleppen mußt. Ganz zu schweigen von Schneeschuhen. Dabei ignorierte Klara die Tatsache, daß sie damals halb so alt gewesen war. Aber sie hatte durchgehalten, damals wie heute. Sie war den Winter über nicht krank geworden, war jeden Morgen aufgestanden, unnachgiebig sich selbst gegenüber. Es war wichtig, daß sie aufstand. Sie war Teil des großen Plans.
    Klara hatte einen starken Willen, der sich immer dann zeigte, wenn sie ein Ziel vor Augen hatte. So wie damals, als sie beschlossen hatte, bei ihrem Vater zu leben. Was wie eine Pubertätslaune ausgesehen hatte, war in Wirklichkeit von langer Hand vorbereitet gewesen. Mit zwölf hatte sie begonnen, sich selbst Finnisch beizubringen, und Schwedisch, Finnlands zweite Landessprache. Bis dahin konnte sie nur die paar Brokken, die sie während der Ferienaufenthalte bei ihrem Vater gelernt hatte. Mit dreizehn kündigte sie ihrem Vater gegen Ende der Sommerferien an, daß sie nicht zurückgehen würde. Nicht ins Internat und nicht zu ihrer Mutter.
    »Behalte sie ruhig. Wenn sie dich näher kennt, hört diese Heldenverehrung deiner Person vielleicht von selbst auf«, hatte Meta von Rüblingen erklärt. Sie war erleichtert. Endlich, nach vierzehn anstrengenden Jahren, wurde sie diese aufsässige Tochter los, die ihr stets fremd geblieben war. Klara, in deren deutschem Paß die finnische Namensversion Klaara neben ihrem zweiten Namen Agnes stand, frohlockte.
    Ihr Vater arbeitete zu diesem Zeitpunkt an einem Forschungsprojekt im Lemmenjoki Nationalpark und bewohnte eine Blockhütte an einem sumpfigen See. Die einzige Gesellschaft bestand aus Jägern und Waldarbeitern, die gelegentlich vorbeikamen und deren Alkoholkonsum sogar die deftigen Trinkgewohnheiten der Niedersachsen in den Schatten stellte. Daß

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