Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Erzähl.«
»Sie hat ein Foto gemailt.« Er zog ein Blatt Papier aus seiner Jackentasche.
Was war das? Ein Pop-Art-Kunstwerk?
»Ist sie ein Alien?«
»Der Scheißdrucker …«
Der Farbpatrone mußten ein paar Töne ausgegangen sein. Der Rest ließ nur erahnen, daß es sich bei der Anordnung der Formen um ein menschliches Gesicht handelte.
»Sie wohnt in der Nähe von Köln.«
»Verstehe. Ist sie vom Fach?«
»Sie ist Arzthelferin.«
»Aha. Weiß sie …«, fragte Robin zögernd. Arne verstand, was Robin sagen wollte.
»Sie weiß, daß ich einen Hof habe. Das mit den Schweinen sage ich ihr lieber erst, wenn wir uns mal in echt gesehen haben.«
Arne ließ den Motor an, und der Pickup rumpelte über den Feldweg, dessen Schlaglöcher jemand mit einer Ladung Dachziegel und Badezimmerfliesen aufgefüllt hatte. »Wir haben schon telefoniert. Sie hat eine Stimme, sag ich dir, da läuft’s dir eiskalt den Rücken runter.«
»Das ist ja schon mal was«, antwortete Robin.
»Wie hast du Klara kennengelernt?« fragte Arne.
»Sie kam zu meiner Lesung. Vor drei Jahren war das.«
»War sie ein Fan von dir?«
»Nein. Sie hatte gar nichts von der Lesung gewußt. Sie war in der Kneipe verabredet, aber der Typ ist nicht gekommen, also ist sie geblieben. Zwischendurch ist sie eingeschlafen. Sie gibt es bis heute nicht zu. Aber immerhin hat sie das Buch gekauft und von mir signieren lassen. Ich habe ›für die Schlafmütze‹ reingeschrieben, und sie hat sich darüber aufgeregt. So sind wir ins Gespräch gekommen. Sie war so … anders.«
»Die ist gewaltig anders«, pflichtete ihm Arne bei.
»Du darfst es ihr nicht übelnehmen, daß sie das mit dem Schweine-KZ gesagt hat. Wenn es um Tiere geht, ist sie sehr empfindlich. Mit Menschen weniger.«
»Das macht mir nichts«, behauptete Arne. »So was kriegen wir öfter zu hören. Meistens von Leuten, die ihre Melonen am liebsten mit Parmaschinken essen. Essen wollen sie, aber vom Töten wollen sie nichts wissen.«
»Apropos töten. Wer jagt denn zur Zeit am Süllberg?«
»Diesen Winter war ja nicht viel zu jagen. Die paar Füchse, pfeif drauf, ich setz mich doch nicht nachts bei eisiger Kälte auf den Hochsitz raus. Aber wenn nächsten Monat die Jagd auf Rehwild beginnt und der Alte weg ist, werde wohl ich ran müssen. Schließlich gibt es einen Abschußplan. Warum fragst du?«
»Nur so.«
Robin kam sich hinterlistig vor. Aber er hatte es Klara versprochen.
Arne war nicht auf den Kopf gefallen. »Auf dem Süllberg kann sie momentan machen, was sie will.«
Robin griff noch einmal nach dem Flachmann, den Arne ihm hinhielt.
»Du bist ein echter Kumpel.«
»Hmm«, knurrte Arne und gab Gas, daß der Dreck aufspritzte.
II.
»Am Wochenende ist wieder ein Zeltlager, warum hast du mir nichts davon gesagt?«
»Ich will nicht mit.« Jonas verkroch sich vor den Blicken seiner Mutter tief in seinen Sessel und hielt den Bildband über die Greifvögel der Erde wie einen Schutzschild vor der Brust.
»Letztes Mal hattest du Bauchschmerzen, jetzt willst du nicht. Jonas, schau mich an, wenn ich mit dir rede. Ist etwas vorgefallen?«
Er ließ das Buch sinken, stand auf und stellte es zurück ins Regal. »Ich hab bloß keine Lust mehr.« Jonas riß den Mund auf zu einem demonstrativen Gähnen. »Ich bin müde. Gute Nacht, Mama.« Er schlurfte auf sein Bett zu. Seine Mutter blieb im Zimmer stehen, stumm und hartnäckig.
»Du wirst es mir nicht glauben.«
»Warum sollte ich dir nicht glauben? Du lügst mich doch sonst auch nicht an«, entgegnete seine Mutter. »Oder?«
»Ich habe Angst«, sagte Jonas und drehte einen Zipfel seines Schlafanzuges zwischen den Fingern.
»Vor wem?« fragte seine Mutter.
»Vor dem Wolf.«
Sie hob die Augenbrauen, dann lächelte sie ihr nachsichtiges Pädagogenlächeln.
»Jonas, wenn ihr euch am Lagerfeuer Gruselgeschichten erzählt, dann mußt du dir immer vor Augen halten, daß das alles nur erfunden ist. Es sind Märchen, Geschichten.«
»Siehst du, du glaubst mir nicht«, flüsterte der Junge resigniert. Dann sagte er trotzig. »Aber ich habe sie gesehen!«
»Wölfe?«
»Die Spuren. Ich habe sie sogar fotografiert. Warte!«
Es dauerte ein wenig, bis der Computer hochgefahren war. Jonas klickte sich durch seine Bildersammlung. Es gab zwei Fotos. Eines war zu hell, das andere dafür recht deutlich. Er erklärte seiner Mutter, weshalb es sich nur um Wolfsspuren handeln konnte.
»Und die hast du im Deister gesehen?«
»Ja.«
»Die
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