Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Thema nichts mehr hergab, wandte sich Barbara an Klara: »Wirst du den Hauptgang auslassen?«
»Wie käme ich denn dazu?« fragte Klara mit gespielter Empörung.
»Ich dachte, du ißt kein Fleisch.«
»Ich esse nur keines, das aus einem Tier-KZ stammt, wie es, zum Beispiel, unser lieber Freund Arne betreibt. Nicht daß ich was gegen Arne hätte, er ist ein ganz lieber Kerl, machmal sogar geistreich, aber diese Art der Tierhaltung …«
»Und wo kommt dieses Reh her?« unterbrach Barbara.
»Es ist mir vors Auto gelaufen, und ich habe es dann getötet«, antwortete Klara.
»Wie denn?« wollte Barbara wissen.
»Mit einem Messerstich zwischen Hinterhauptbein und ersten Halswirbel. Ich habe immer mein Jagdmesser bei mir.«
»Na dann, guten Appetit«, sagte Robin, der fand, daß Nasrin etwas blaß geworden war.
»Ist das nicht Wilderei?« gab Barbara ihre juristischen Kenntnisse preis. »Ich glaube, du hättest den Jagdpächter rufen müssen. Oder die Polizei.« Sie ahnte, was dem Reh in Wahrheit zugestoßen war, und ärgerte sich, daß man sie wieder einmal behandelte wie eine Idiotin.
»Hätte das dem Reh geholfen?« fragte Klara zurück.
Robin entzog sich der Auseinandersetzung, indem er die Teller abräumte und Nasrin beim Auftragen der Suppe half.
»Sauerampfersüppchen«, erklärte die Köchin.
»Das ist ein preiswertes Essen«, lobte Barbara. »Erst gewildertes Reh und dann Unkraut aus dem Garten.«
»Es schmeckt jedenfalls genial«, sagte Robin. »Außerdem ist das Unkraut aus der Markthalle, ich bin dafür extra nach Hannover gefahren.«
»Wo lernt man so kochen?« fragte Klara.
»Am Herd. Das Fleisch muß raus.« Nasrin eilte an den Backofen. Klara stellte die Karaffe mit dem Burgunder auf den Tisch. Sie hatte den Wein schon vor Stunden dekantiert. Es hatte Freude gemacht, mit Nasrin die Mahlzeit vorzubereiten und den Wein für das Essen auszusuchen. Vom Kochen schien das Mädchen jedenfalls eine Menge zu verstehen. Erstaunlich, für ihr Alter.
Unter Beifall und sanft errötend trug Nasrin den Rehrücken auf. Er war auf traditionelle Weise geschmort, dazu gab es Kartoffelschneebällchen, Apfelrotkraut und karamellisierte Möhren und Schalotten.
»Diese Soße ist ein Traum«, sagte Robin, als ein Paar Autoscheinwerfer durch das Fenster ins Zimmer huschten. Barbara sprang auf und preßte ihr Gesicht an die Scheibe.
»Hannes?« fragte Klara.
»Der würde doch das Tor öffnen. Es ist auch gar nicht sein Audi.«
Auch Klara stand nun auf. Die beiden sahen hinaus. Mario, durchzuckte es Klara.
Der Wagen hupte.
»Soll ich mal rausgehen und nach dem Rechten sehen?« fragte Robin und warf sich in John-Wayne-Positur.
»Ich geh schon«, sagte Klara und bemühte sich, nicht zu hastig aus dem Haus zu stürzen. Geblendet von den Scheinwerfern ging sie auf den fremden Wagen zu. Mario besaß gar kein Auto, fiel ihr ein, aber er konnte sich ja eines geliehen haben.
»Wer ist da ?« rief Klara und versuchte, ihre Augen vor den grellen Xenonlampen zu schützen. Die Wagentür ging auf. Eine Gestalt kam auf sie zu.
»Würde freundlicherweise jemand das Tor für mich öffnen? Ich habe die Fernbedienung nicht dabei.«
»Hannes«, sagte Klara erleichert. »Moment.« Sie lief zurück und betätigte den Toröffner neben der Haustür. Der BMW preschte auf den Hof, eine Tür wurde geöffnet und wieder zugeknallt.
»Neues Auto?«
»Leihwagen. Hab die Fernbedienung in meinem Auto gelassen. Steht in der Werkstatt.«
»Was ist denn passiert?«
»Irgendein Spaßvogel hat mir Nagellack über die Scheibe gegossen.«
»Nagellack? Wohl eine enttäuschte Verehrerin. Oder eine sitzengelassene Geliebte?«
Hannes wollte dieses Thema nicht weiter erörtern und winkte ab.
»Du kommst gerade richtig zum Essen«, munterte ihn Klara auf.
»Essen? Was gibt’s denn?« Hoffentlich nicht wieder einer von Klaras vegetarischen Aufläufen.
»Ein ganz köstliches Festessen.«
Klara war angetrunken, eindeutig. Sie hatte rote Flecken auf den Wangen und wirkte irgendwie unkontrolliert. Eine Facette an ihr, die er nicht kannte.
»Wo?« fragte Hannes. Er war erschöpft und konnte seine Gereiztheit nur schwer verbergen.
»Bei dir«, sagte Klara leichthin. » Du wolltest doch immer ein offenes Haus mit vielen Gästen.«
Tatsächlich hatte er sich zu Beginn des gemeinsamen Wohnexperiments so geäußert, und es war auch jetzt noch sein Wunsch, auch wenn über den Winter kaum ein Mensch den Weg hierher gefunden hatte. Ja, er mochte
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