Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Gäste und Parties. Aber nicht ausgerechnet heute.
Klara führte Hannes in sein Haus, als wäre er ein Gast. Um nicht zu sagen: ein Fremdkörper.
Barbara eilte ihm mit schuldgekrümmtem Nacken entgegen. »Hannes! Warum hast du nicht angerufen, dann hätten wir …« Sie deutete etwas hilflos auf den Tisch und küßte ihn auf die Wange. Sie erinnerte Klara ein bißchen an Merlin, wenn er Drago den Speichel von der Schnauze leckte, um ihn zu besänftigen.
Klara übernahm die Regie. »Hannes, das ist Nasrin. Eine Bekannte von Barbara. Sie hat sich heute nachmittag spontan erboten, für uns zu kochen.«
Nasrin war aufgestanden und streckte Hannes die Hand entgegen. Automatisch registrierte er die wichtigsten Koordinaten. Kleine, feste Brüste, kein BH, langer Hals, hervorstehende Schlüsselbeine, schmale Hüften, dünne Beine, Katzengesicht. »Nasrin«, wiederholte er, als wäre ihr Name lediglich ein weiterer Schicksalsschlag in einer ganzen Serie. Er drückte ihr kurz die Hand, dann stellte er seine Aktentasche ab und warf sein Jackett auf das Sofa, was Nasrin mit einem Zucken der Augenbrauen registrierte. Barbara hatte in Windeseile ein weiteres Gedeck aufgetragen.
»Setzen wir uns. Das Reh wird sonst kalt«, ordnete sie an.
»Reh?« Hannes hatte sich wieder gefangen und sah Klara prüfend an. »Haben wir es eventuell mit einem schweren Verstoß gegen das Bundesjagdgesetz zu tun?«
Klara lächelte nur und kniff ein Auge zu.
»Hei, Alter!« grüßte Robin, der als einziger ruhig sitzen geblieben war. Hannes schlug ihm auf die Schulter. Er hätte mich ruhig anrufen können, nachdem er den Artikel gelesen hat, grollte Hannes. Kommt gar nicht auf die Idee, daß ich auch mal Zuspruch brauchen könnte.
Er zog sich seufzend einen Stuhl heran. Er hatte sich spontan entschieden, nach Hause zu fahren, Barbara sein Leid zu klagen und auf jeden Fall früh schlafen zu gehen. Statt dessen platzte er in ein Gelage, das von einer wildfremden Türkin in seinem eigenen Haus angezettelt worden war. Warum hatte Barbara am Telefon keinen Ton davon gesagt? Hatten sie ihr kleines Fest vor ihm verheimlichen wollen? Ist die Katze aus dem Haus, tanzen die Mäuse auf den Tischen, grollte Hannes. Immerhin roch es nicht schlecht. Soeben bemerkte er, daß er rasenden Hunger hatte.
Robin schenkte Hannes ein Glas Rotwein ein. »Trink, du hast was aufzuholen.«
Hannes roch an dem Glas, nahm erst einen kleinen Schluck, dann einen größeren.
»Das ist der 96er Rothschild.«
»Stimmt«, gestand Klara. »Ich konnte nicht widerstehen. Wenn es schon mal Reh gibt.«
Hannes verschlug es die Sprache. Seine Karriere ging den Bach hinunter, und sie feierten und soffen seinen Weinkeller leer. Längst hatte Hannes bereut, sich keinen eigenen Kellerraum für den Wein geschaffen zu haben. Sparsamkeit am falschen Platz rächte sich immer, ebenso wie Gutmütigkeit und Großzügigkeit.
Barbara, bereits geübt in Tyrannenbesänftigung, reichte ihm ein großes Messer. »Hier. Der Hausherr muß den Braten anschneiden.«
Hannes gab das Messer an Nasrin weiter. »Ich denke, sie ist die Köchin. Sie kann das bestimmt viel besser.«
Hannes erwachte mit schwerem Kopf. Auf der Suche nach Aspirin brachte er achtlos Nasrins Ordnung im Pillenschrank durcheinander. Während sich die zwei Sprudeltabletten im Zahnputzbecher austobten, sah er sich die Sammlung an Anti Aging-Präparaten stirnrunzelnd an. Einen Teil davon schluckte er selbst, aber wohl nicht regelmäßig genug, wenn er sich das Ergebnis so ansah. Vielleicht sollte er sich die Tränensäcke bald mal wegmachen lassen, ehe er aussehen würde wie Derrick? Er schlüpfte in den Bademantel und ging nach draußen, die Zeitungen holen. Als er die Treppe hinabstieg, gefaßt auf den wüsten Anblick der Überreste des vergangenen Abends, erlebte er eine Überraschung. Das Zimmer, der Tisch, alles war aufgeräumt, die Küche tadellos sauber. Das Mädchen, dessen Existenz ihm eben erst wieder in den Sinn kam, war gerade dabei, die letzten Gläser zu polieren und in den Schrank zu stellen. Das alles geschah fast lautlos. Es roch nach gebackenem Teig. Hannes räusperte sich. Das Mädchen wandte sich langsam um und legte das Tuch weg.
»Du hast alles aufgeräumt?« fragte er überflüssigerweise.
»Ja. Soll ich Kaffee machen?«
Was hatte das zu bedeuten? Sie benahm sich wie eine Hausangestellte. Hatte er gestern etwas mißverstanden? Aber ein Kaffee wäre himmlisch, wo sie nun schon mal da war. Sie trug nicht mehr
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