Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
lächeln.
Hannes kam mit einer zweiten Runde Bier zurück. Seine Fröhlichkeit war ein wenig aufgesetzt. Er war nicht zum Vergnügen hier. Nachher, wenn alle angetrunken waren, würde Hannes mit Arne einen trinken gehen, am besten an die Schnapsbar der Landjugend. Er sah im Geist die Schlagzeile vor sich: Fernsehrichter Johannes Frenzen bewahrt türkisches Mädchen vor der Rache ihrer Familie.
Es wäre von Nutzen, wenn ein paar Leute aus dem Dorf bestätigen konnten, daß da tatsächlich so ein Mädchen auf dem Gut gewesen war.
Das Feuer loderte jetzt nicht mehr ganz so hoch auf, sondern bestand hauptsächlich aus Glut. Es war dunkel geworden. Barbara brachte eine weitere Runde Bier. Die Stimmung an den umliegenden Tischen wurde immer ausgelassener. Hannes hielt sich zurück, aber Robin und Arne schauten tief in die Gläser.
Das Bier drückte auf die Blase. Eigentlich haßte Hannes diese Toilettenwagen, aber er konnte es sich nicht leisten, wie die anderen Männer an irgendeine Ecke zu pinkeln. Fernsehrichter pißt in Nachbars Garten , das fehlte noch. Prominenz hat auch Nachteile, überlegte Hannes. Auf dem Rückweg sah er Klara etwas abseits stehen. Sie schien die Lichter der Stadt zu betrachten. Merlin saß neben ihr, die beiden wirkten irgendwie der Welt entrückt. Er stellte sich wortlos neben sie.
»Schön, nicht wahr«, sagte sie nach einer Weile und streckte den Arm in Richtung Norden aus. »Das Heizkraftwerk Linden.« Deutlich erkannte man die drei Türme.
»Heimweh?« fragte Hannes.
»Meine Heimat ist noch viel weiter nördlich.«
»Vermißt du Finnland?«
»Manchmal. Vor allem den Schnee. So viel Schnee, monatelang, und hier … nichts als ein paar Krümel. Mein Vater hat gefragt, ob ich den Sommer in seinem Mökki verbringen möchte. Zwei Monate alleine an einem See. Nur angeln, lesen und Beeren und Pilze suchen.« Klara lächelte schwärmerisch bei dieser Vorstellung, die Hannes ein Greuel war. »Aber das geht ja dieses Jahr schlecht.«
»Ja, ich weiß. Was geschieht denn nun, und wann geschieht was?«
»Bald. Ich warte auf Anweisung von oben«, erklärte Klara und lächelte.
»Organisiertes Verbrechen«, stellte Hannes fest und seufzte.
»Anders geht es nicht. Sie werden alle innerhalb von zwei Wochen ausgewildert. Jedes Rudel an einem anderen Ort. Allgäu, Rhön, Schwarzwald, Westerwald …. sogar in der Lüneburger Heide.«
»In der Heide?« staunte Hannes.
»Ja. Es gab dort früher öfter Wölfe.« Klara sah sich um, ob auch niemand in der Nähe stand, ehe sie flüsternd fortfuhr: »Bis zum nächsten Frühjahr werden sie sich vermehrt haben.«
»Wenn sie nicht schon vorher erschossen oder überfahren werden.«
Klara biß sich auf die Unterlippe. »Immerhin stehen sie unter Naturschutz. Es wird eine große öffentliche Diskussion geben, inzwischen sind Wölfe beliebt. In anderen Ländern funktioniert es doch auch.«
Hannes fiel ein, was er schon lange hatte fragen wollen. »Woher stammen sie eigentlich?«
»Aus Rußland. Ursprünglich sollte was ganz anderes aus ihnen werden.«
»Was denn?« fragte Hannes.
»Pelzmäntel.«
Eine Pause trat ein.
»Und was ist mit dem Vieh? Mit den Kühen und Schafen?«
»Was soll damit sein? Die wenigen Bauern, die ihre Tiere noch auf die Weide führen, werden sich Hunde anschaffen müssen, so wie früher. In der Schweiz und in Kanada gibt es eine Übereinkunft, nach der die Schafzüchter eine Entschädigung vom Staat erhalten, wenn ein Tier durch einen Wolf gerissen wird. Aber unsere Wälder sind so wildreich, sie werden genug zu Fressen finden.«
»Wanderer, Jogger, Mountainbiker …«, zählte Hannes auf.
»Und kleine Mädchen mit roten Mützen«, fügte Klara hinzu.
»Die besonders«, grinste Hannes.
»Warum haben die Menschen Angst vor einem Wolf und erwählen sich dessen Nachfahren zu ihrem besten Freund?« philosophierte Klara.
»Vielleicht verkörpert der Wolf die Bestie in uns«, antwortete Hannes. »Wie in all den Werwolfgeschichten.«
»Aber wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert, verdammt noch mal! Kannst du mir sagen, wann der letzte Mensch durch einen Wolf zu Schaden kam? Niemand kann das, weil das nur Schauergeschichten sind. In Skandinavien kommen jedes Jahr etliche Menschen durch Elche und Rentiere zu Tode, aber niemand verteufelt deswegen den rotnasigen Rudi. Selbst Wildschweine sind gefährlicher als Wölfe, weil sie weniger scheu sind.«
»Aber was ist …«, Hannes senkte die Stimme, » … was ist mit deinen
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