Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Wölfen und denen der anderen? Die sind Menschen gewohnt. Sie werden Spaziergänger und Pilzsucher zu Tode erschrecken.«
»Das ist ein wunder Punkt«, gestand Klara. »Aber bereits die nächste Generation wird sich völlig natürlich verhalten.«
»Wenn es eine nächste geben wird. Die Jägerschaft wird ihre Pfründe verteidigen. Die fühlen sich nach wie vor als Feudalherren, sie scheren sich seit Generationen nicht um die öffentliche Meinung. Notfalls knallen sie sie eben heimlich ab.«
»Möglich. Aber alle werden sie nicht kriegen. Ein paar werden durchkommen, und dann wird es in Deutschland wieder Wölfe geben, und zwar überall, nicht nur in Gehegen in irgendwelchen Nationalparks. Außerdem werden die Jäger die Wölfe spätestens dann zu schätzen wissen, wenn all die Spaziergänger und Freizeitsportler, die sonst immer das Wild aufscheuchen, aus Angst vor dem bösen Wolf zu Hause bleiben. Dann herrscht wieder Ruhe im Wald«, grinste Klara.
»Diesen Aspekt solltest du unbedingt mit einem Touristikmanager diskutieren«, feixte Hannes. »Aber es wird vermutlich ganz anders laufen: Tausende von Abenteurern werden nachts durchs Unterholz schleichen, um sich ihren Urängsten zu stellen, Horden esoterisch angehauchter Wolfsfans werden durchs Fichtendickicht pirschen, es wird Wolfssafaris durch den Harz geben, und endlich wird der Mythos Wald, wie unsere deutschen Romantiker ihn sahen, wiederauferstehen.«
»Manchmal spinnst du noch mehr als Robin«, stellte Klara fest. »Ich bin optimistisch. Mit den Luchsen im Harz hat es schließlich auch geklappt.«
»Das kann man nicht vergleichen«, widersprach Hannes. »Luchse erregen die Gemüter viel weniger. So weit ich weiß, verbindet man mit ihnen einzig und allein gutes Hören. Wie viele Wölfe sind es überhaupt?«
»Vierundachtzig.«
»Lieber Himmel! Und wie wollt ihr wissen, ob es klappt und wo sie sind? Gibt es eine Kontrolle, oder wie soll das Ganze funkionieren?«
»Sie sind gechipt. Wir können sie über ein GPS-Signal auf ein paar Meter genau orten.«
Hannes schien beeindruckt. Jedenfalls schwieg er eine Zeitlang, bevor er fragte: »Was ist eigentlich mit dir und Robin?«
»Was soll da sein?«
»Ich habe den Eindruck, daß da momentan der Wurm drin ist.«
»Mag sein«, gestand Klara. »Darum kümmere ich mich, wenn diese Sache mit den Wölfen vorbei ist. Ich habe momentan keinen Nerv für seine Befindlichkeiten und Spinnereien.«
»Ausgerechnet du redest von Spinnerei«, lachte Hannes, aber Klara wurde abgelenkt. Sie bemerkte einen Jungen, der abwechselnd Merlin anstarrte und dann zu Boden sah. Dort, wo das junge Gras niedergetreten war, war die Erde weich wie frisch angerührter Gips.
»Ist was?« fragte Klara.
Der Junge stierte erneut Merlin an, dann fragte er: »Was ist das?«
»Ein Schäferhund«, lautete Klaras Standardantwort. »Willst du ihn streicheln?«
Das Kind kam zögernd näher. Merlin schnüffelte und leckte an seiner Hand, die vermutlich nach Bratwurst roch. Der Junge fuhr ihm langsam und feierlich über den Kopf und schaute dann seine Hand an, als hätte er gerade ein Wunder berührt.
»Jonas, da bist du ja. Komm, wir gehen nach Hause. Ach, das ist ja Frau von Rüblingen. Guten Abend, man sieht Sie gar nicht mehr im Institut.«
»Guten Abend, Herr Professor Thielmann«, sagte Klara. »Ja, ich nehme mir gerade ein Sabbat-Semester. Ist das Ihr Sohn?«
Thielmann stellte Klara Frau und Sohn vor, Klara machte die Familie mit Hannes bekannt.
»Ein schöner Hund«, meinte Thielmann.
Er und seine Familie entfernten sich, wobei der Junge sich noch mehrmals nach Merlin umsah.
Hannes ließ seinen Blick über die dunkle Landschaft schweifen. Ein paar Lichter waren im Dorf zu sehen, aber nicht viele, denn die meisten Bewohner waren hier oben, beim Osterfeuer. Überall im Umkreis sah man kleinere und größere Feuer lodern.
»Ich war als Kind oft mit meinen Eltern im Allgäu«, erinnerte sich Hannes. »Dort haben sie jedes Jahr am Funkensonntag eine Hexenpuppe verbrannt. Das ist der Sonntag nach Fastnacht. Das Funkenfeuer fand ich immer viel faszinierender als das Osterfeuer. Wegen der Hexe, und weil meistens noch Schnee lag, im Schnee ist so ein Feuer viel eindrucksvoller.«
»Die Finnen verbrannten früher auch Hexenpuppen in den Osterfeuern. In der Fastenzeit treiben nämlich die Hexen, die Trullis , ihr Unwesen. Jetzt gibt es sie nur noch auf Ostergrußkarten. Aber in der Nacht zum ersten Mai gibt es Vappuaatto, das wilde
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