Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Tagebücher seiner Mutter, die im obersten Schrankfach lagen. Wenigstens die hatte diese Irre verschont. Er nahm sie mit an seinen Schreibtisch, schnitt die lederne Verschlußlasche des ersten Bandes mit der Schere durch und begann die vertraute Schrift zu lesen.
»Hattest du eigentlich schon mal einen Freund?«
»Keinen, von dem meine Eltern gewußt hätten«, antwortete Nasrin.
»Einen Deutschen?«
»Ja.«
»Und wenn sie es rausgekriegt hätten?«
»Nicht auszudenken. Deshalb ging es ja schief. Schon nach zwei Wochen. So viel Heimlichkeit, das hält keine Beziehung aus.«
»Und im Moment?« fragte Barbara.
»Im Moment gibt es niemanden.«
»Wie sprecht ihr zu Hause, türkisch?«
»Nur meine Eltern untereinander. Ich nicht. Ich hasse diese Sprache.«
Sie standen in der Küche und schnippelten Gemüse für ein Eintopfgericht, das Nasrin zubereiten wollte. Es war der Dienstag nach Ostern. Der Kindergarten hatte noch geschlossen. Hannes war vor einer Stunde nach Hamburg gefahren. Robin hatte sich heute noch nicht blicken lassen, genausowenig wie gestern. »Laßt ihn einfach eine Weile in Ruhe«, hatte Hannes geraten. »Für ihn waren das mehr als ein paar Möbel, er muß das erst verarbeiten.«
»Du sprichst auch völlig akzentfrei Deutsch«, stellte Barbara fest.
»Was hast du erwartet? Ich bin in Deutschland aufgewachsen«, sagte Nasrin mit leisem Spott in der Stimme. »Ich habe einen Cousin in Stuttgart, der schwäbelt, daß sich einem die Haare sträuben.«
»Wovon lebt eigentlich deine Familie?«
»Geschäfte.«
»Import-Export?« Jetzt war es Barbara, die spöttelte.
»Genau. Mein Vater macht – Geschäfte. Er spricht nicht darüber, nicht vor den Frauen. Er verdient nicht schlecht, aber das meiste Geld fließt in die Türkei. Da läßt er ein Haus bauen, in dem sie später einmal wohnen wollen. Wie hast du eigentlich Hannes kennengelernt?«
»Im Biergarten an der Uni. Ich habe dort bedient. Man verdient nicht gerade höllisch viel als Erzieherin.«
»Machst du die Arbeit gerne?«
»Es geht so.« Als Barbara die neue Stelle angetreten hatte, war sie überzeugt gewesen, es ab jetzt nur noch mit braven Landkindern aus intakten Familien zu tun zu haben. Das stimmte auch zum größten Teil, dafür schlug sie sich jetzt täglich mit überengagierten Müttern herum, die sich in alles einmischten und einem mehr auf die Nerven fielen als renitente Fünfjährige.
»Du hast noch Geschwister, hat Robin erzählt.«
»Schwestern. Die Älteste ist dreißig und sieht aus wie geliftete Fünfzig. Sie hat drei Kinder und versichert mir jedesmal, wie glücklich sie ist. Ursula, die Zweitälteste, bildet sich mordswas ein, weil sie als einzige von uns studiert hat. Jetzt arbeitet sie bei einer Versicherung und macht auf coole Karrierefrau. Und meine jüngere Schwester ist arbeitslos und will jetzt Heilpraktikerin werden. Sie hat letztes Jahr einen Massagetherapeuten geheiratet.«
»Wann werdet ihr heiraten, Hannes und du?«
»Ach, das eilt nicht«, sagte Barbara und ging hinaus, um die Gemüsereste zum Komposthaufen zu bringen. Klara kam über den Hof an den Zaun. »Ist Robin bei euch?«
»Nein. Ich habe ihn heute noch nicht gesehen«, antwortete Barbara. »Bestimmt aalt er sich noch in seinem Leiden und macht die Tür nicht auf.«
Klara schüttelte den Kopf. »Er ist nicht in der Wohnung. Ich bin reingegangen.« Robin hatte seinen Schlüssel nicht zurückgefordert, und Klara hätte ihn normalerweise nicht benutzt. Aber allmählich hatte sie sich Sorgen gemacht.
»Sein Handy. Hast du es da probiert?« fragte Barbara nach.
Klara winkte ab. »Das liegt seit Wochen mit leerem Akku irgendwo herum.«
Barbara hatte Klara noch nie so besorgt um einen Menschen gesehen. Für gewöhnlich regte sie sich nur auf, wenn es um ihre Hunde ging.
»Sein Fahrrad«, fiel Barbara ein.
Klara schlug sich an den Kopf. »Mensch!« Manchmal war Barbara erstaunlich praktisch veranlagt. Sie sahen zusammen nach. Robins Rad hatte seinen Platz in einem selbstgezimmerten Unterstand hinter dem Haus.
»Es ist weg«, stellte Klara fest.
»Siehst du. Sicher braucht er nur ein bißchen frische Luft.«
»Daraus muß man ja kein Geheimnis machen!« ereiferte sich Klara.
»Du kennst ihn doch. Der denkt doch nie an andere.«
»Ich kann nicht mal sagen, seit wann er weg ist, ob er die Nacht über noch zu Hause war.«
»Gestern abend hat noch Licht gebrannt«, antwortete Barbara. »Willst du mit uns zu Mittag essen?«
»Nein, ich habe
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