Wölfe und Lämmer: Kriminalroman (German Edition)
Bergwanderungen zu berichten ist einfacher als über seine Gefühle.«
»Sie konnte gut über Gefühle schreiben. Bei ihrer Beschreibung eines Sonnenaufgangs im Rosengarten kommen dir glatt die Tränen«, sagte Robin giftig. Seine helle Verzweiflung über den Verlust des ererbten Hausrats hatte sich nach der Lektüre der Tagebücher in eine dunkle Wut verwandelt. »Nur für mich hatte sie keine übrig.«
Klara machte Anstalten ihn zu umarmen, aber er wich zurück.
»Ich würde dir wirklich gerne mit der Wohnung helfen«, überwand sich Klara.
»Wenn du dich nicht gerade um deine Viecher kümmern mußt.«
»Jetzt wirst du unfair.«
»Ich muß das allein machen, verstehst du das? Es ist wie ein Neuanfang.« Plötzlich schlug seine trübe Stimmung um, und er rief voller Enthusiasmus: »Sie hat mich gerettet. Endlich bin ich den ganzen Ballast los, ich weiß gar nicht, wie ich darin existieren konnte. Sieh dir das an: Die Wände atmen, es ist hell, das Parkett glänzt wunderschön ohne diese muffigen Teppiche. Wenn ich nur an dieses ekelhafte Sofa denke.«
»Darf ich dich daran erinnern, daß ich es war, die dir von Anfang an geraten hat, dich von dem alten Plunder zu trennen?« unterbrach Klara den Monolog.
Robins Augen glänzten wie Weihnachtsäpfel. »Ja, das hast du gesagt, sogar öfter. Aber sie hat es getan, einfach getan! Was für ein Mut! Eines weiß ich ganz sicher: daß ich wieder schreiben kann, wenn ich hiermit fertig bin.«
»Schön. Und bestimmt geht’s dann auch mit der Potenz wieder aufwärts«, zischte Klara. Seine Antwort ging unter im Geräusch der Tür, die sie hinter sich zuschlug.
Als wenig später Rauch aus dem Kamin stieg, war Klara überzeugt, daß es nicht die Möbelkartons waren, die Robin im Ofen verbrannte. Sie schüttelte den Kopf. Daß er immer gleich so überreagieren mußte.
Barbara war eine Stunde früher losgefahren, als zur Einhaltung des Termins nötig gewesen wäre. Als sie nun durch die vertrauten Straßen bummelte, befiel sie eine gewisse Wehmut, obgleich sie sich daran erinnerte, daß sie sich während der letzten Monate in Linden gar nicht mehr wohlgefühlt hatte. Genauer gesagt seit dem Vorfall mit dem kurdischen Jungen, den sie wegen eines Schimpfwortes ermahnt hatte. Als ihr der Junge daraufhin in den Bauch getreten hatte, hatte sie zurückgeschlagen. Die Familie des Jungen, die man bis dahin kaum zu Gesicht bekommen hatte, war geschlossen angetreten und hatte Barbaras Entlassung verlangt. Letztendlich war die Sache im Sande verlaufen, da es keinen erwachsenen Zeugen für den Vorfall gab. Der Junge war in eine andere soziale Einrichtung gekommen, Barbara war geblieben. Sie galt unter den Kolleginnen von da an als wenig belastbar. Tatsächlich war Barbara seitdem oft nervös, denn sie lebte in Angst vor der blutigen Rache, die ihr die Familie angedroht hatte. Kein noch so dickes Türschloß hatte gegen ihre Furcht geholfen, sie hatte sich bei Dunkelheit nicht mehr allein aus dem Haus gewagt und auch bei Tag hatte sie sich oft ruckartig umgedreht. Prompt hatten stets irgendwelche verdächtigen Gestalten herumgestanden oder waren in ihre Richtung geschlendert. Dabei hatte Barbara eigentlich immer gerne in der Stadt gewohnt. Eigentlich.
Sie schlenderte im Zickzack durch die Straßen. Noch immer hingen die Punks mit ihren Hunden vor dem Plus-Supermarkt herum, aber es hatte auch Veränderungen gegeben. Geschäfte hatten dichtgemacht, neue eröffnet: ein Laden mit Fetzenklamotten, wie Hannes sie nannte, ein neues Blumengeschäft, ein Geschäft für Einrichtungsaccessoires des gehobenen Geschmacks. Wer sollte diesen teuren Firlefanz in Linden kaufen? War das Viertel etwa dabei, Schickimicki zu werden, so wie die List? Und hatte es hier immer schon so viele Handyläden ge-
geben?
Das Fiasko hatte den Garten geöffnet. Barbara setzte sich und bestellte Kaffee. Klaras Frage von vorhin ging ihr durch den Kopf. Es waren nur Kleinigkeiten. Nasrin hatte nie besonders viel von sich oder ihrer Familie erzählt. Ihr Wortschatz war für ein neunzehnjähriges Mädchen ungewöhnlich. Als Kater Titus mit ein paar Schrammen von nächtlichen Umtrieben zurückgekehrt war, hatte Nasrin von »erotischen Wirrsalen« gesprochen. Gut, da konnte auch der Umgang mit Robin abgefärbt haben. Aber manchmal benutzte sie Fremdworte, die Barbara nie in den Sinn kämen, zum Beispiel redundant oder Islamophobie. Barbara konnte ihrerseits nur ein paar Brocken Türkisch, die sie seinerzeit
Weitere Kostenlose Bücher