Wölfe und Schafe - Ein Alex-Delaware-Roman 11
gesetzlichen Bestimmungen zur Tierhaltung zu erzählen - wenn man mehr als soundso viele Tiere hält, braucht man eine besondere Genehmigung. Ich habe bloß gelacht und bin wieder reingegangen. Seither habe ich nichts mehr mit ihnen zu tun gehabt. Die sind auch bald wieder weg, wie all die anderen.«
»Wie viele andere hat es denn schon gegeben?«
»Ich zähl’ nicht mehr mit. Die werden hierhergeschickt
und sollen ein Jahr lang Dienst in der Provinz schieben. Hier ist nichts los, es gibt keinen McDonald’s, kein Kabelfernsehen, also drehen sie durch und hauen, so schnell es geht, wieder ab.« Sie lachte, dann wurde sie ernst. »Die Generation der fünfzig Kanäle. Gott helfe den Tieren und allen anderen Kreaturen, wenn die mal das Sagen hat.«
Sie spähte in die Hundekiste. »Keine Angst, mein Kleines. Du bist bald wieder auf den Beinen.«
Ihr Zopf pendelte hin und her, so heftig schüttelte sie den Kopf. »Können Sie begreifen, wie jemand ein so unschuldiges Wesen verletzt?«
»Nein«, sagte ich. »Das ist ebenso unbegreiflich wie Mord.«
Sie kam ins Wohnzimmer, setzte sich in einen ramponierten Korbsessel und stemmte die Fersen fest auf den Linoleumboden.
»Hope ermordet. Wissen Sie, was die Griechen mit den Überbringern schlechter Botschaften gemacht haben?« Sie fuhr sich mit einem Finger über die Kehle.
»Ich hoffe, Sie sind keine Griechin«, sagte ich.
Sie grinste. »Ihr Glück. Früher habe ich meinen Schülern viel über die Griechen beigebracht, aber nicht nur das, was man normalerweise lernt. Nicht nur, dass sie kultiviert und edel waren, eine wunderbare Mythologie hatten und die Olympischen Spiele erfunden haben. Ich wollte am Beispiel der Griechen klarmachen, dass man kultiviert und edel wirken und dennoch unmoralische Dinge tun kann. Heutzutage wird in den Schulen keine Moral mehr gelehrt außer der, wie man Sex haben kann, ohne daran zu sterben. Das ist sicherlich nicht verkehrt, schließlich kann man nichts Gutes mehr tun, wenn man zwei Meter unter der Erde liegt, oder? Aber sie sollten noch etwas mehr vermitteln - was möchten Sie von mir hören?«
»Etwas über Hopes Kindheit, das für die Ermittlungen in dem Mordfall nützlich sein könnte.«
»Was könnte das sein?«
Ihre dunklen Augen fixierten mich mit Falkenblick.
»Es gibt Anlass zu der Vermutung, dass sie als Erwachsene misshandelt wurde. Manchmal lässt so etwas auf Misshandlungen in der Kindheit schließen.«
»Misshandelt?«
»Sie wurde geschlagen, geprügelt.«
»War sie verheiratet?«
»Ja.«
»Mit wem?«
»Einem Geschichtsprofessor, um einiges älter als sie.«
»Hat er sie misshandelt?«
»Das wissen wir nicht.«
»Verdächtigt man ihn, sie ermordet zu haben?«
»Nein«, antwortete ich.
»Nein? Oder noch nicht?«
»Schwer zu sagen. Es gibt keine Beweise gegen ihn.«
»Ein Professor und eine Psychologin«, sagte sie und schloss die Augen, als versuchte sie, sich die beiden vorzustellen.
»Hope war auch Professorin«, sagte ich. »Sie hatte einen ziemlich guten Ruf in der Forschung.«
»Auf welchem Gebiet hat sie geforscht?«
»Die Psychologie von Frauen. Geschlechterrollen. Selbstkontrolle.«
Bei dem letzten Wort zuckte sie zusammen, und ich fragte mich, wieso.
»Ich verstehe … Erzählen Sie mir, wie sie getötet wurde.«
Ich schilderte den Fall und erzählte ihr auch von Hopes Buch und dessen Erfolg.
»Das klingt, als hätte sie nicht nur einen guten Ruf gehabt. Das klingt, als wäre sie richtig berühmt gewesen.«
»Im letzten Jahr war sie das.«
Sie neigte den Kopf ein wenig nach hinten, und die dunklen Augen verengten sich. Ich fühlte mich wie ein Saatkorn, das von einer Krähe inspiziert wird.
»Und was hat nun ihre Kindheit damit zu tun?«, fragte sie.
»Wir klammern uns an jeden Strohhalm. Sie sind einer davon.«
Sie starrte mich weiter an. »Berühmt. Das hab’ ich nun davon, dass ich keine Zeitungen lese oder in die Glotze gucke. Beides mache ich schon seit Jahren nicht mehr... interessant.«
»Was ist interessant?«
»Dass sie berühmt war. Als sie in meine Klasse kam, war sie sehr schüchtern, hatte sogar Angst davor, laut zu lesen. Haben Sie ein Bild von ihr als Erwachsene?«
»Nein.«
»Schade, ich hätte gerne mal eins gesehen. War sie attraktiv?«
»Sehr.« Während ich Hope beschrieb, wurde ihr Blick weicher.
»Sie war ein süßes Kind - ich denke immer noch an sie als Kind. Ein kleines Blondchen. Ihr Haar war fast weiß … hing ihr bis zur Taille mit gelockten
Weitere Kostenlose Bücher