Woerter durchfluten die Zeit
gemessenem Schritt zur Kirchentür und schloss sie auf. Während er die wenigen Meter zum Altar zurücklegte, um ihn für die Morgenmesse vorzubereiten, schoben sich zwei schwarze Schatten durch die Tür.
Mit leisen Schritten folgten die beiden Männer, die zu den Schatten gehörten, dem Vikar.
Als dieser ein Geräusch hinter sich vernahm, drehte er sich erstaunt um. Normalerweise war er um diese Zeit allein in seiner Kirche und er genoss diese stille Zeit heute noch genauso wie vor zwanzig Jahren, als er die Gemeinde übernommen hatte.
Als er der Männer in den schwarzen Anzügen und mit kurz geschorenem Haar gewahr wurde, war er sicher, dass die beiden kein Interesse an seiner Morgenandacht hatten.
Der Moment, vor dem er sich so lange gefürchtet hatte, war gekommen. Er hatte versucht, die Gefahr zu verdrängen. All die Jahre hatte er überlegt fortzugehen. Doch er wollte Lucy nicht allein lassen. Ihre Eltern hatten sie seiner Obhut übergeben und er hatte versucht, sie zu schützen, so gut er es konnte. Unter dem Siegel der Verschwiegenheit hatte Lucys Mutter, Sophie Guardian, ihm ihr Geheimnis offenbart und ihn gebeten, es Lucy im geeigneten Moment zu erzählen. Bis heute hatte er dies nicht getan. Nun ahnte er, dass das ein Fehler gewesen war. Sie waren viel zu früh auf ihre Spur gestoßen. Er hatte gehofft, dass sie sie nie finden würden.
»Guten Morgen, die Herren«, begrüßte er die Männer und versuchte seine Stimme fest klingen zu lassen. »Was kann ich zu so früher Stunde für Sie tun?«
»Wir sind auf der Suche nach jemandem und wir denken, dass Sie diese Person kennen«, antwortete der eine mit fast freundlicher Stimme.
»Wir suchen nach Lucy Guardian«, fuhr der andere dazwischen. »Sie ist als Waise bei Madame Moulin aufgewachsen. Allerdings besteht der begründete Verdacht, dass sie die Verwandte eines unserer Klienten ist.«
Er zückte einen Ausweis und hielt ihn Vikar McLean so nah vor die Nase, dass dieser unmöglich etwas erkennen konnte.
»Ich verstehe nicht ganz, was Sie von mir wollen. Madame Moulin kann Ihnen viel eher sagen, wo Miss Guardian sich befindet.«
»Das wird sie auch«, bestätigte der andere. »Allerdings möchten wir sichergehen, dass es sich bei Lucy Guardian um die gesuchte Person handelt. Sie haben das Kind damals gefunden?« Der Mann hatte eine merkwürdige abgehackte Sprechweise, fiel dem Vikar auf.
Er nickte. Er würde nichts preisgeben.
»Das Kind lag auf den Stufen der Kirche, stand in den Unterlagen, die uns das Vormundschaftsgericht zur Verfügung gestellt hat«, fügte einer der beiden hinzu.
Wieder nickte der Vikar.
Der Mann trat näher an ihn heran und baute sich drohend vor ihm auf. »Haben Sie das Kind bei sich aufgenommen?«, fragte er. »Hatte es etwas dabei? Haben Sie etwas Außergewöhnliches bemerkt?«
Jetzt schüttelte der Vikar den Kopf. »Das Kind lag auf den Stufen. Es war ein normaler Morgen«, begann er die Geschichte, die ihm im Laufe der Zeit so in Fleisch und Blut übergegangen war, dass er sie beinahe selbst glaubte. »Es hatte nichts bei sich, außer den Kleidern, die es trug, und der Decke, in die es eingewickelt war. Es war niemand zu sehen. Also habe ich es mit hineingenommen. Sie können sich denken, dass ich keinerlei Erfahrungen mit Kleinkindern habe. Deshalb rief ich Madame Moulin an, die schon damals das Kinderheim hier im Ort führte. Sie kam sofort und nahm das Mädchen in ihre Obhut. Sie war es auch, die die Aussetzung der Polizei meldete. Leider ist die leibliche Mutter des Kindes nie wieder aufgetaucht. Gott möge ihr diese Tat verzeihen.«
»Sie sind ganz sicher, dass das Kind nichts bei sich hatte? Irgendetwas, dass auf seine Herkunft schließen ließ?«
Vikar McLean nahm seinen ganzen Mut zusammen und sah dem Fremden in die Augen. »Da bin ich ganz sicher.«
Der Mann starrte ihn an, bis er seinen Blick abwandte.
»Ich muss Sie bitten, mich jetzt zu entschuldigen. Der Gottesdienst muss vorbereitet werden.« Seine Stimme zitterte.
Die Männer wandten sich ab und ohne ein weiteres Wort verließen sie die Kirche.
Vikar McLean ließ sich in eine der Bänke fallen. Seine flatternden Hände legte er in seinen Schoß. Er musste überlegen, was zu tun war.
Die Eingangstür knarrte und zwei der alten Damen, die regelmäßig zur Morgenandacht kamen, betraten die Kirche. Er stand auf und ging ihnen entgegen. Er würde den Gottesdienst nutzen, um sich zu beruhigen, beschloss er. Er durfte jetzt nicht überstürzt
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