Wofuer die Worte fehlen
man nur sein!«
»Es tut mir leid!«
»Tut mir leid!« Der Vater äfft Kristians Stimme nach. »WeiÃt du, wie peinlich mir die Fragen deines Lehrers waren? Wie steh ich denn nun da? Ich habe einen Ruf zu verlieren! Wie konntest du ihm erzählen, dass wir die Filme zusammen gesehen haben?«
»Es tut mir leid!«
»Hauptsache, das Ganze wird jetzt nicht weiter breitgetreten.«
Aber diese Hoffnung ist vergebens.
Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Geschichte von Kristian und den Videoaufnahmen von Beate unter der Dusche. Schon am nächsten Abend ruft Onkel Vladimir an, dem Eva die ganze Geschichte ausführlich erzählt hat. Er macht sich Sorgen um das Ansehen der Familie.
»Keine Angst! Ich hab alles im Griff«, hört Kristian seinen Vater sagen. Seine Stimme ist dunkel vor unterdrückter Wut. »Nun mach kein Drama draus. Hast du niemals in deiner Jugend � Ja, ja, ich rede mit ihm.«
Als der Vater den Hörer aufknallt, löscht Kristian das Licht in seinem Zimmer, springt in sein Bett und zieht die Bettdecke über den Kopf. Er stellt sich schlafend. Aber der Vater kommt nicht.
Am Wochenende erscheinen dafür Onkel Vladimir und Tante Irina, Eva haben sie zum Glück nicht mitgebracht. Finstere Blicke treffen Kristian, der ihnen ahnungslos die Wohnungstür öffnet und sie in die Küche führt, wo seine Eltern noch beim Mittagessen sitzen.
Als Kristian in seinem Zimmer verschwinden will, brüllt ihn der Onkel an: »Du bleibst hier! Wegen dir haben wir doch den ganzen Schlamassel. Ich könnte im Boden versinken vor Scham!«
»Man traut sich kaum mehr auf die StraÃe«, sagt Tante Irina.
Sie machen sich groÃe Sorgen wegen des bevorstehenden Familienfestes. Zum achtzigsten Geburtstag von Oma Herta findet ein groÃes Fest auf dem Bauernhof in der Slowakei statt. Alle Verwandten von nah und fern sind eingeladen.
»Nicht auszudenken, wenn Kristians Pornogeschichten beim Mittagessen diskutiert werden. Da ist der Herzinfarkt von Oma Herta vorprogrammiert. Die wird sich für ihren Enkel zu Tode schämen.«
Kristian wünscht sich ein Loch im Boden, um darin zu versinken. »Kristians Pornogeschichten« hat der Onkel gesagt. Und die Pornofilme des Vaters? Davon redet niemand. Auch die Mutter nicht. Sie kocht eifrig Kaffee und stellt die Dose mit den Keksen auf den Tisch. »Greift zu, ich habe sie ganz frisch gebacken.«
Er schaut zum Vater, der ihm einen seiner warnend-eisigen Blicke zuwirft, sodass Kristian anfängt zu frieren, obwohl die Sonne durchs Küchenfenster brennt.
»Keine Sorge!«, sagt der Vater dann beruhigend zu seinem Schwager. »Von uns wird keiner die Geschichte weitererzählen. Das ist alles schon peinlich genug. Oder glaubst du etwa, Kristian ist stolz darauf?«
Kristian schaut zu seiner Mutter, doch die weicht seinem Blick aus. Ihre Augen sind rot gerändert. Sie weint häufig in letzter Zeit. »Eva!«, sagt sie leise, aber man hört die Empörung in ihrer Stimme. »Es ist Eva. Sie kann Kristian nicht leiden, sie erzählt es überall herum. Stimmt doch, Kristian, oder?«
Kristian nickt. Es ist zurzeit Evas Lieblingsgeschichte. Jeden, den sie trifft, beglückt sie damit, ob die sie hören wollen oder nicht.
»Also, da wissen wir ja, woher die Gefahr kommt. Seht zu, dass ihr eure Tochter zum Schweigen bringt«, sagt Kristians Vater mit Eis in der Stimme.
»Wenn euer Sohn nicht solche Schweinereien machen würde, gäbe es nichts zu erzählen!«
Bevor die Stimmung noch aggressiver werden kann, gehen sie auseinander. Irgendwie ist Kristian erleichtert. Zumindest in der Slowakei wird niemand darüber reden.
Als Kristian am nächsten Tag aus der Schule kommt, hat die Mutter die Koffer gepackt. »GroÃmama ist krank, du weiÃt doch, ihr Herz ist so schwach.« Ein Anruf der GroÃmutter sei gekommen, sie brauche Hilfe. Ganz dringend. Sofort.
Als Kristian vor zwei Tagen mit ihr telefoniert hat, ging es ihr noch gut.
»Das Herz!«, sagt die Mutter. »Das kann sich von einem Tag zum anderen verschlimmern.«
Kristian nickt. Er beiÃt die Zähne zusammen, als das Taxi kommt und die Mutter ihn zum Abschied umarmt. Er schaut dem Taxi nach, bis es um die Ecke verschwindet, während die Tränen seine Backen herunterlaufen.
Die dumpfen Schläge der Wohnzimmeruhr dröhnen durch die stille Wohnung. 23 Uhr. Zeit zum
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