Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wofuer die Worte fehlen

Wofuer die Worte fehlen

Titel: Wofuer die Worte fehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolin Philipps
Vom Netzwerk:
Hartnäckigkeit gerechnet. Mehrfach versucht er es an diesem Tag noch. Kristian erkennt seine Nummer auf der Anrufliste, die er danach jedes Mal wieder löscht.
    Wo bleibt der Vater nur? Sonst ist er immer vor der Mutter zu Hause. Ausgerechnet heute verspätet er sich.
    Gegen neun Uhr abends kommt die Mutter, vom Vater keine Spur. Sie ist noch im Flur, als das Telefon klingelt und damit um Sekunden schneller am Hörer als Kristian, der gerade aus der Toilette kommt, wo er sich den halben Abend schon aufgehalten hat.
    Durch die halb offene Tür hört er mit angehaltenem Atem die erstaunten Ausrufe seiner Mutter.
    Â»Mein Kristian? Nacktfotos von Mitschülerinnen! Herr Malert, Sie müssen sich irren! Mein Kristian ist auf dem Gebiet noch sehr kindlich, das müssten Sie doch auch gemerkt haben. Der hat überhaupt kein Interesse an Frauen. Im Gegenteil, er ist immer total angeekelt, wenn im Fernsehen eine Liebesszene kommt. Pornoszenen auf dem Handy? Aber woher? … Mit meinem Mann? Herr Malert, jetzt gehen Sie aber zu weit!« Die Stimme der Mutter wird vor Empörung ein wenig schrill. »Pornofilme gibt es in unserem Haushalt nicht! Haben Sie auch die anderen Kinder befragt? Vielleicht will einer meinem Kristian bloß was anhängen.« Dann sagt sie eine Weile gar nichts mehr, hört dem Lehrer nur zu, bis sie den Hörer schließlich ganz langsam beiseitelegt.
    Kristian beugt sich da längst wieder über die Toilette und würgt, obwohl in seinem Magen nichts mehr ist, was herauskommen könnte. Erschöpft hockt er sich auf den Rand der Badewanne.
    Aus dem Flur schallen erregte Stimmen zu ihm herüber. Der Vater ist nach Hause gekommen. Kristians Hände krallen sich an den kalten Badewannenrand.
    Â»Du bist e-kel-haft! Wie kann man nur Pornos ansehen!« Die Stimme der Mutter überschlägt sich vor Ärger, die des Vaters ist dagegen erstaunlich ruhig. »Das fragst du? Warum wohl? Ich bin schließlich ein normaler Mann mit normalen Bedürfnissen und du bist wochenlang weg.«
    Â»Und da befriedigst du deine Bedürfnisse mit solchen Filmen? Gott, wie krank ist das denn! Und lässt das Kind auch noch zuschauen. Du ekelst mich an! Vielleicht kommen davon seine ständigen Bauchschmerzen. Und sein Bettnässen. Er verkraftet doch solche Bilder noch gar nicht!«
    Das laute Lachen des Vaters lässt Kristians Bauchschmerzenwieder anschwellen. »Er ist fast fünfzehn! Mein Gott, heutzutage sieht man solche Bilder an jedem Kiosk. Es gibt viele Jungs, die haben in seinem Alter schon eine Freundin.«
    In dieser Nacht schläft die Mutter im Wohnzimmer auf dem Sofa. Tagelang reden die Eltern kein Wort mehr miteinander. Die Mutter weigert sich in die Schule zu gehen, um das Handy abzuholen. »Wie steh ich denn vor dem Lehrer da? Der eigene Mann schaut Pornos mit meinem Sohn! Ich könnte im Boden versinken.«
    Schließlich erklärt sich der Vater bereit zu gehen. »Aber auch nur, damit die Geschichte endlich beendet wird. Du und dieser blöde Lehrer macht ein Drama aus einer ganz normalen Sache. Was glaubst du, wie viele Pornofilme jedes Jahr gedreht werden? Und die Branche boomt doch nicht deshalb, weil niemand die Filme anschaut.«
    Â»Aber sie sind nicht für Kinder gemacht. Das wenigstens solltest du respektieren.«
    Kristian gegenüber schweigt die Mutter. Mit keinem Wort erwähnt sie den Anruf des Lehrers, mit keinem Satz das Handy mit den Fotos. Kristian ist eigentlich ganz froh, dass sie ihn nicht ausfragt. Er hat Angst, dass dann die ganze Geschichte aus ihm herauskommt. Und doch, wenn er mit ihr morgens am Frühstückstisch sitzt, wünscht er sich nichts sehnlicher, als dass sie fragen würde.
    Auch sein Vater redet zunächst nicht mit ihm über den Vorfall. Er sagt tagelang gar nichts, straft Kristian, indem er ihn nicht mehr beachtet. Nur wenn Kristian an ihm im Flur vorbeigeht oder er ihn in der Küche trifft, zischt er ihm ein »Vollidiot!« zu.
    Erst als Herr Malert nach einer Woche erneut anruft und darauf besteht, dass ein Elternteil zu einem Gespräch und zum Abholen des Handys in die Schule kommt, macht sich der Vater auf den Weg.
    Â»Du bist ein solcher Dummkopf!«, sagt er wütend, als er nach zwei Stunden wiederkommt und Kristian das Handy auf den Schreibtisch wirft. »Willst du unser Familienleben aufs Spiel setzen? Lösch bloß die Nacktfotos und das Video. Wie dumm kann

Weitere Kostenlose Bücher