Wofür du stirbst
dauern würde, bis ich an mein Geld käme, darum fragte ich mich, ob das Geld tatsächlich irgendwas geändert hätte. Geld konnte mir den Schmerz nicht nehmen. Doch Graham hatte darauf bestanden, und als ich den Ball erst einmal ins Rollen gebracht hatte, hatte ich nicht mehr die Kraft, um ihn zu stoppen.
Diese Fahrer hatten mein Leben total ruiniert. Alles, was mir einst normal erschienen war, war in einem einzigen Moment zerstört worden. Ich hatte keinen Job mehr, und ich konnte nicht mehr in den Garten gehen, was ich zuvor so gerne getan hatte. Ich konnte nicht mehr bequem im Auto sitzen, nicht einmal als Beifahrer, und verließ darum nur noch selten das Haus. Graham und ich hatten von Familie und Kindern geträumt, doch wie konnte ich jetzt auch nur daran denken?
Manchmal dachte ich, es wäre vielleicht besser gewesen, wenn mir bei dem Unfall das Rückenmark durchtrennt worden wäre und mich gelähmt hätte. Dann hätte es wenigstens jeder sehen können. So aber wirkte ich völlig normal. Schmerzen sind unsichtbar. Niemand kann sich die Schmerzen eines anderen vorstellen. Die anderen sehen nur, dass man nichts tut, und legen das als Faulheit aus. Am Anfang meldeten sich meine Freunde und die Familie oft bei mir, doch irgendwann kamen sie seltener vorbei. Sie glaubten, ich würde schon darüber hinwegkommen, wenn ich mich nur ein wenig anstrengte, und dass ich mir selbst keinen Gefallen täte, wenn ich im Bett oder auf dem Sofa läge. Sie glaubten, dass es besser würde, wenn ich einen kleinen Schritt nach dem anderen machte. Sie dachten, herumzuliegen würde das Ganze nur noch schlimmer machen. Und unterdessen kam der Schmerz in Wellen, er machte mich unglücklich und reizbar, also fauchte ich die wenigen Menschen an, die bei mir ausgeharrt hatten, bis schließlich auch sie sich nicht mehr mit mir abgaben.
Doch am stärksten verletzte mich Graham. Ich war glücklich mit ihm, trotzdem weiß man erst, wie andere Menschen mit Problemen umgehen, wenn sie damit konfrontiert werden. Wir hatten nicht geheiratet, also hatte er mir auch nie den ganzen Schwachsinn mit »in guten und in bösen Tagen« versprochen. Ich dachte, es gäbe trotzdem irgendwie eine stillschweigende Vereinbarung zwischen uns, denn wäre er verunglückt, hätte ich alles für ihn getan und mich um ihn gekümmert. Aber Bitteschön.
Das Schlimmste, was ihm jemals widerfahren war, war ein Rugby-Unfall, bei dem er sich einen Fußknöchel gebrochen hatte, der mit der richtigen Physiotherapie jedoch schnell wieder verheilt war. Er dachte, bei mir wäre es genauso, vielleicht glaubte er auch, meine Schmerzen nach dem Unfall seien nicht so heftig wie seine, weil ich mir schließlich nichts gebrochen hatte. Er hatte es satt, sich freizunehmen und mich zu den Arztterminen zu fahren, bei denen nie etwas herauskam. Wie alle anderen konnte auch er nicht mit meinen Stimmungsschwankungen umgehen. Wenn der Schmerz besonders schlimm wurde, verließ er einfach das Haus, nahm seine Brieftasche und seinen Autoschlüssel, sein Handy und ging in den Pub oder zu seiner Schwester oder sonst irgendwohin, wo er seine jämmerliche, kranke Partnerin vergessen konnte.
Ich war jedes Mal erleichtert, wenn er das tat, weil ich dann so viel Lärm machen konnte, wie ich wollte – ich konnte schreien, stöhnen und über die verdammten Schmerzen und meinen verdammten Rücken fluchen, und er musste es sich nicht mit anhören.
Und natürlich waren es nicht nur mein Elend und der zusätzliche Aufwand, mich durch die Gegend zu kutschieren, mir beim Anziehen zu helfen oder jeden zweiten Abend Essen zu bestellen oder die Einkäufe reinzutragen. Wir hatten auch keine Intimität mehr. Selbst an guten Tagen, wenn der Schmerz einem dumpfen Pochen wich, konnten wir uns bestenfalls umarmen und küssen. Er hätte natürlich mehr gewollt, wollte mich aber nicht darum bitten oder dazu drängen, weil er Angst hatte, alles nur noch schlimmer zu machen. Doch selbst wenn ich mich gut genug fühlte, um es zu versuchen, hatte ich Angst davor, irgendwas zu beginnen, das ich dann nicht mehr hätte beenden können.
Nach dem Unfall blieb er noch fünf Monate bei mir. Ich weiß nicht, ob es ihm einfach nach und nach zu viel wurde oder ob ich etwas sagte oder tat, das für ihn der Auslöser war, jedenfalls wachte ich eines Morgens auf, und er war verschwunden. Er hatte im Erdgeschoss auf dem Tisch eine Nachricht hinterlassen.
Seine Schwester kam am Wochenende vorbei, und gemeinsam suchten wir, so gut
Weitere Kostenlose Bücher