Wofür du stirbst
Manchmal frage ich mich aber schon, ob ich nicht ein wenig zu gut in diesen Techniken bin. Vielleicht ist mir nicht ganz bewusst, über welch außerordentliche Fähigkeiten ich verfüge. Oder vielleicht gehe ich inzwischen so ungezwungen damit um, dass ich die Grenzen des guten Benehmens gelegentlich überschreite.
Jedenfalls bin ich wie gesagt froh, dass sie gesund und munter wieder aufgetaucht ist. Wer flieht, kann sich zum zweiten Male in die Schlacht werfen … Wer weiß, Heiratsantrag hin oder her, vielleicht bekomme ich in nächster Zeit ja noch einmal die Chance, es bei ihr zu versuchen. Vielleicht sollte ich mich für die Einladung revanchieren und sie beide zu mir zum Abendessen einladen. Was sie wohl von meiner großen alten Villa aus der Zeit Edwards VII. halten würden? Vermutlich wäre sie überrascht, dass ich mir so etwas leisten kann. Natürlich ist keine Hypothek darauf – ich habe mein ganzes Gehalt zur freien Verfügung und kann damit tun und lassen, was ich will. Und sobald meine Mutter sich endlich dazu entschließt, ihren Platz im Reich der ewigen Verdammnis einzunehmen, wird auch mein Name im Grundbuch stehen.
Briarstone Chronicle
Oktober
Wie ein Polizeisprecher heute mitteilte, ermittelt die Polizei in Briarstone wegen Mordes, nachdem Dienstagnacht und Mittwochmorgen zwei weitere Leichen aufgefunden wurden. Die gebürtige Serbin Dana Viliscevina, 30, wohnhaft in Hawthorn Crescent (Carnhurst), wurde entdeckt, nachdem der Chronicle einen Anruf erhalten hatte, in dem eine Frau Angaben zu weiteren Leichen machte. Die Frau hatte aufgelegt, ohne ihren Namen zu hinterlassen. Aus Polizeiquellen wurde bekannt, dass zudem eine weitere Leiche gefunden wurde. Dabei handelt es sich um Eileen Forbes, 45, wohnhaft in der Oak Tree Lane in Briarstone. Soweit bekannt wurde, starb Miss Forbes nur wenige Stunden vor ihrer Entdeckung. Ihr Tod steht in engem Zusammenhang mit den Ermittlungen, wie eine weitere Quelle bestätigte.
Miss Viliscevina war Hilfslehrerin an der St. Margaret’s Church of England-Grundschule in Newington. Bethan Davies, die Schulleiterin des St Margaret’s, sagte gestern, Miss Viliscevina sei schon seit Längerem krankgeschrieben. »Wir hatten ja keine Ahnung«, äußerte sie gestern. »Ich stand regelmäßig mit ihr in Kontakt, es schien ihr besser zu gehen. Wir haben alle gehofft, dass sie bald wieder zur Arbeit kommen würde. Die Kinder sind alle sehr bestürzt.« Der Kriseninterventionsdienst wurde gerufen, um den Schülern der Klasse beizustehen, die Miss Viliscevina seit Anfang des Jahres unterrichtete.
Einschließlich der beiden Leichen von dieser Woche beträgt die Zahl der Toten, die in Briarstone und Umgebung seit Anfang des Jahres aufgefunden wurden, mittlerweile sechsundzwanzig. Die »Liebe deinen Nachbarn«-Initiative des Briarstone Chronicle soll noch einmal unterstreichen, wie wichtig es ist, sich um einsame und hilfsbedürftige Mitglieder unserer Gesellschaft zu kümmern. Nach dem Telefonhinweis allerdings scheint der plötzliche Anstieg verwesender Leichen in Briarstone wohl kein Zufall mehr zu sein und ist offensichtlich auch nicht auf mangelnde Nachbarschaftshilfe zurückzuführen. Die Polizei ist auf der Suche nach einer Person, die mit allen Opfern in Kontakt stand und hofft aufzudecken, wie sie tatsächlich zu Tode gekommen sind.
Die Polizei von Briarstone bittet um Hinweise bezüglich des Ablebens von Dana Viliscevina.
Denken Sie daran, es ist nie zu spät, nach den Nachbarn zu sehen!
Wie Detective Inspector Andy Frost sagte, »haben wir alle die Pflicht, uns um die allein lebenden Menschen in unserer Mitte zu kümmern. Viele unserer Mitbürger sind in Gefahr. Die jüngsten Entdeckungen zeigen einmal mehr, dass wir uns intensiver um unsere Mitmenschen kümmern müssen und es nicht nur anderen überlassen dürfen.«
Dana
Ich lebte seit Jahren in diesem Land und fühlte mich hier dennoch nie richtig heimisch. Ich kam auf der Flucht vor dem Bürgerkrieg hierher, vor den Soldaten, über die man erzählte, dass sie die Städte im Norden überfielen und schreckliche Dinge taten. Ich hatte all unser Erspartes genommen und den Transport für meine Eltern und mich bezahlt. Zuerst fuhren wir mit dem Schiff nach Sizilien, wo wir einen Abend vor Weihnachten landeten. Es war schrecklich chaotisch dort. Viele versuchten, auf das europäische Festland zu gelangen, Mitfahrgelegenheiten auf LKWs zu finden oder, wenn sie sich Zutritt verschaffen konnten, als blinde
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