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Wofuer es sich zu sterben lohnt

Titel: Wofuer es sich zu sterben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åsa Nilsonne
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von sich selbst an eine Zeitschrift ge schickt hatte, die man nur mit einer Hand liest. Und es war kein Bild nur von ihm selbst.
    Robert hatte nicht die Kraft, sich zu bewegen. Der Kerl verschwand aus seinem Blickfeld, und Robert stand stock steif da, im wahrsten Sinne des Wortes wie gelähmt.
    Dann schäumte sein Adrenalin los. Plötzlich hätte er durch die Wand brechen können. Zugleich kam ihm eine unausgegorene Idee: Wenn der Kerl nur seine Strafe bekä me - wenn er nur leiden müsste für das, was er getan hat te -, dann wäre Matilda von dem befreit, was passiert war. Dann würde es deutlich sein, dass es seine Schuld gewesen war, nicht ihre. Dann würde klar sein, dass sie ein unschul diges Opfer eines Verbrechens gewesen war. Das Geschehe ne würde ungeschehen sein. Jedenfalls fast.
    Er musste mit ihm sprechen. Musste ihn zur Rede stel len.
    Er lief durch die Halle, aber als er den kleinen Hofplatz erreichte, war es schon zu spät. Der Kerl war verschwunden. Aber nein, da war er noch immer zu sehen, er war unter wegs in ein kleines Dickicht auf der anderen Seite des We ges hinter dem Zaun.
    Robert lief hinterher.
    Die hohen Sträucher nahmen gerade eine zartgrüne Fär bung an, und hinter ihnen stand Juri. Das Bier, das er frü her an diesem Abend getrunken hatte, verließ seinen Kör per jetzt als kräftiger, aggressiver Strahl.
    Während Juri im Gebüsch stand und Robert, der immer sagte, sein Leben habe mit Matildas Geburt angefangen, auf ihn zulief, noch immer mit dem Brotmesser in der Hand, suchte Greta in der Tagesstätte Helena auf. Helena versuch te ihr auszuweichen, aber das gelang ihr nicht.
    »Wer war der Junge, mit dem du eben zusammen warst?«
    »Fang doch nicht wieder an. Einfach ein Junge.«
    »Das habe ich gesehen. Aber ich will wissen, ob du ihn kennst.«
    »Kannst du nicht wenigstens ein einziges Mal eine Pause machen? Glaubst du, ich kann nicht auf mich aufpassen? Jetzt mach endlich mal einen Punkt.«
    Einen Punkt machen? Das kam nicht in Frage, denn der junge Mann, dessen Arm so lässig um Helenas Schultern gehangen hatte, war ebender, der nachmittags bei ihr im Krankenhaus gesessen hatte.
    Schweigepflicht kollidierte mit elterlicher Verantwor tung.
    Sie hätte gern gesagt: Was du auch tust, mach einen gro ßen Bogen um ihn, und vertrau ihm nicht. Pass auf dein Leben auf.
    Aber die Worte ließen sie im Stich, und Helena lief zu ih ren Freunden zurück und ließ die klassischen Fragen un beantwortet. Wer ist er? Wie lange kennst du ihn schon? Habt ihr Sex?
    Und die so selten ausgesprochenen Fragen zwischen den Zeilen fanden auch keine Antwort. Wie gefährlich ist er für dich? Wird er dich verletzen? Will er dein Bestes?
    Greta fragte jetzt ein Mädchen in der Küche und bekam sofort eine Antwort. Der Junge hieß Juri, er war Helenas Freund. Seit wann? Das wusste sie nicht genau. Ein halbes Jahr vielleicht. Sie nannte seinen Namen voller Abscheu.
    Und plötzlich, als Helenas Großmutter aus dem Fenster schaute, sah sie Cassie auf der Wippe sitzen, wo sie eben noch Helena gesehen hatte. Eine muntere und kurvenrei che junge Frau wippte zerstreut auf und ab - es war Cassie, deren Bauch noch nicht angeschwollen, deren Haut noch nicht gelb geworden war.
    In ihr entstand aufs Neue der Schmerz, der niemals ver schwunden gewesen war. Sie wurde von Trauer überfallen, überrumpelt, geschlagen, ausgeschaltet. Sie musste sich set zen, um nicht ohnmächtig zu werden, kniff die Augen zu, um sich zu schützen, denn sie wusste, dass Cassie nicht dort draußen war, sie war nirgendwo.
    Jemand legte ihr eine Hand auf die Schulter und fragte, ob ihr nicht gut sei. Sie zwang sich zu nicken und konn te murmeln, es gehe schon besser. Sie zwang sich dazu, aus dem Fenster zu schauen. Da saß Helena auf der Wip pe, sorglos, wie Cassie sorglos gewesen war, in Gefahr, wie Cassie in Gefahr geschwebt hatte.
    Das war zu viel. Das war mehr, als irgendwer ertragen könnte.
    Sie schob die Gummihandschuhe in die Hosentasche, erklärte, sie fühle sich nicht wohl, und fing an, ihre Kleider zusammenzusuchen. Ihre Hilflosigkeit raubte ihr die Besin nung, sie war total, und das machte ihr solche Angst, dass sie nach Luft schnappen musste.
    Inzwischen hatte Robert den Kerl auf dem ekelhaften Foto erreicht.
    »Hör mal, du!«
    Er hörte seine eigene Stimme wie aus der Ferne - das war kein großartiger Anfang.
    »Ich bin Matildas Vater!«
    Das hätte ihm die moralische Überhand geben müssen, der Kerl hätte den Blick senken und

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