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Wofuer es sich zu sterben lohnt

Titel: Wofuer es sich zu sterben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åsa Nilsonne
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Bericht erstatten. Stattdessen erinnerte er sich an ein ähnliches Erwachen auf einem Kasernenboden vor ungefähr zwanzig Jahren. Damals hatte er aus Jux eine abfällige Bemerkung über die Gotländer gemacht. Er hatte diese Bemerkung nicht mehr zurücknehmen können, ehe ein gotländischer Rekrut seine und Gotlands Ehre verteidigt hatte, indem er ihn mit einer kräftigen und wohlplatzierten Rechten zu Boden warf.
    War ihm das jetzt wieder passiert? Erinnerte er sich des halb an den Kasernenboden, an die unklaren Bilder von abgenutzten blechernen Bettpfosten? Es waren so viele ge wesen, dass er nicht gewusst hatte, ob er doppelt sah.
    Sein Kiefer tat noch immer beängstigend weh. Er ver suchte, ihn ein wenig zu rühren. Das ging. Dann versuchte er, ihn seitwärtszubewegen. Auch das ging. Also war wohl nichts gebrochen. Das war eine Erleichterung.
    Danach versuchte er, die Augen zu öffnen. Er sah Baum kronen, schwarz vor dem noch immer milden, hellblauen Sommerhimmel.
    Er blieb eine Weile liegen und konzentrierte sich aufs At men. Er hoffte, dass der Schmerz sich so weit zurückziehen würde, dass er aufstehen könnte, am liebsten, ehe irgend jemand ihn hier fand.
    Was, wenn der Junge die Polizei angerufen hatte? Was, wenn er im Gefängnis landete? Polizei. Körperverletzung. Messer. Ermittlungen. Anklage. Beweise. Schuldig. Gefäng nis. Schwere Körperverletzung.
    Er versuchte, diese Assoziationskette anzuhalten und lo gisch zu denken.
    Körperverletzung, mindestens, das war es doch sicher, wenn man einem anderen Menschen ein Messer in den Rü cken rammte. Vermutlich schwere Körperverletzung oder warum nicht gleich Mordversuch? Oder versuchter Tot schlag, er hatte ja nicht den Plan verfolgt, den Jungen um zubringen, jedenfalls nicht in diesem Moment, auf diese Weise. Aber das konnte ja niemand wissen. Er konnte sich nicht darauf verlassen, dass jemand ihm glauben würde. Sicher würden sie ihn fragen, warum er das Messer mitge nommen habe, wenn er nicht vorhatte, es zu benutzen.
    Gab es überhaupt versuchten Totschlag als juristischen Tatbestand? Das wusste er nicht, er wusste gar nichts. Ihm war nur klar, dass er auf die Beine kommen musste.
    Auf die Beine und weg. Fort. Nach Hause.
    Er versuchte, aufzustehen, aber eine Welle von Übelkeit warf ihn zurück in Moos und Gras. Während er darauf war tete, dass die Übelkeit sich legte, fing er an, die Situation nicht mehr nur schwarzweiß zu sehen.
    Vielleicht war ja alles doch nicht ganz so schlimm. Viel leicht waren sie jetzt quitt - ein Messerstich gegen einen Knockout.
    Ein unbeholfener Messerstich gegen einen professionel len und gut gezielten Fausthieb. Er und der Typ könnten das Geschehene vielleicht einfach vergessen. Er stellte fest, dass sein Zorn auf seltsame Weise verflogen war. Er war bereit zum nächsten Schritt. Er war bereit zur Versöhnung. Vielleicht könnte der Junge Matilda um Verzeihung bitten, vielleicht könnte er aus dem Geschehenen eine wichtige Lehre ziehen. Könnte lernen, Rücksicht auf die Gefühle an derer zu nehmen. Eine Situation auch mit den Augen ande rer Menschen zu sehen. Vielleicht etwas darüber, Mädchen und Frauen zu respektieren.
    Schon fühlte er sich ein wenig besser.
    Er drehte den Kopf ein kleines Stück nach links. Es tat längst nicht mehr so weh wie vorhin. Ihm wurde schwind lig, aber das legte sich. Ermutigt versuchte er, den Kopf vor sichtig nach rechts zu drehen. Der Schwindel kam wieder, und er kniff die Augen zusammen, drehte den Kopf noch ein wenig, blieb still liegen und wartete darauf, dass der Bo den nicht mehr bebte.
    Dann öffnete er die Augen. Zuerst sah er nur einen Wirr warr aus allerlei dunklen Umrissen. Im Hintergrund eini ge schmale, spitze Blätter, schwarz vor dem hellen Hinter grund. Ganz dicht vor ihm lag ein runder Stein mit einem Auge, das weiß aus seinem dunklen Zentrum leuchtete.
    Das Auge glitt umher und verschwamm, er hätte eine Brille gebraucht, es war zu nah, das Licht war zu schwach, er brachte keinen Sinn in das, was er hier sah.
    Plötzlich deutete sein Gehirn die undeutlichen Formati onen auf andere Weise. Was es bisher als Moos eingestuft hatte, waren Haare. Was es für einen runden Stein gehal ten hatte, war ein Kopf. Deshalb saß dort in der Mitte ein bewegungsloses Auge.
    Neben seinem eigenen lag ein anderer Kopf, als teilten sie ein Kissen. Dort sah er sonst seine Frau, aber sie war es nicht.
    Diese Orientierungslosigkeit schlug in Entsetzen um, als er sah, wie etwas in dem Auge

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