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Wofuer es sich zu sterben lohnt

Titel: Wofuer es sich zu sterben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åsa Nilsonne
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sich bewegte. Der Rest des Gesichtes war geprägt von einer unheimlichen und unna türlichen Stille, aber im Auge, nein, auf dem Auge beweg te sich etwas, zögernd und ruckhaft. Er versuchte, seinen Blick zu schärfen. Über den Augapfel kroch eine hellbraune langbeinige Waldameise. Sie tastete mit ihren Fühlhörnern vor sich hin, wanderte vorsichtig weiter, setzte ihr faden dünnes, gelenkiges Bein auf die kleine gekrümmte Horn haut des Auges. Das Auge konnte sich nicht mehr wehren, es blinzelte nicht, keine Hand kam ihm zu Hilfe, der Kopf schüttelte den Eindringling nicht ab.
    Die Ameise sah monströs aus auf ihrem ruckhaften Weg. Er versuchte sie anzuschreien, sie solle verschwinden, als könn te damit alles wieder gut sein, wenn sie nur zum Verschwin den gebracht würde, aber er brachte keinen Ton heraus. Er schloss seine eigenen Augen, hart, als ob er damit den Weg des Insekts über das andere Auge unterbrechen könnte.
    Aber als er wieder hinschaute, war alles unverändert. Das bewegungslose Auge starrte noch immer seins an, oder es hätte das getan, wenn es noch hätte sehen können. Die Ameise war stehen geblieben, sie schien zu überlegen, ob sie kehrtmachen oder über die Augenwimpern klettern sollte.
    Die Wahrheit war offenkundig.
    Das Auge war tot.
    Der Kopf war tot.
    Der Junge, den er mit dem Messer niedergestochen hatte, war tot, denn es waren sein Auge, seine Haare, seine aufge knöpfte teure Jacke.
    Das war nicht möglich. Es konnte nicht sein, dass der junge Mann tot neben ihm lag. Dicht neben ihm, mit dem halben Gesicht in Moos und Gras und mit einem roten Messergriff, der wie ein groteskes Gewächs starr aus seinem Rücken ragte. Ein groteskes Gewächs mit einer scharfen, funkelnden Wurzel tief im Körper des Jungen.
    Er kämpfte sich auf alle viere auf und unterdrückte seinen Brechreiz. Bei der heutigen Kriminaltechnik war Erbroche nes doch die pure Visitenkarte.
    Am Ende kam er auf die Beine. Sie trugen ihn kaum, aber immerhin konnte er jetzt stehen. Aber wohin sollte er gehen?
    Sollte er zum Fest zurückgehen und sich nichts anmerken lassen? Das erschien ihm unmöglich. Er zitterte am ganzen Leib. Vermutlich hatte er eine dicke Schramme am Kinn, da, wo Juri ihn getroffen hatte. Vermutlich hatte er Moos in den Haaren und Grasflecken an der Kleidung.
    Er wollte den Jungen nicht wieder ansehen, merkte aber, dass er es nicht lassen konnte.
    Die Wirklichkeit war unverändert: Der junge Mann lag der Länge nach im Gras. Es war dunkler geworden, der Messergriff leuchtete nicht mehr hellrot, bald würde die Farbe gar nicht mehr zu sehen sein.
    Das Messer! Sollte er nicht versuchen, etwas damit zu machen? Wie viele hatten gesehen, wie er die Küche mit dem Messer in der Hand verlassen hatte? Irgendjemand, oder mehrere, musste sich doch daran erinnern.
    Er schaute es wieder an und wusste plötzlich, dass das zu kompliziert sein würde. Niemals wieder würde er den roten Plastikgriff anfassen können. Er würde niemals sei ne andere Hand auf den schweren, schlaffen Körper pres sen können, um sich gegenzustemmen, wenn er das Mes ser herauszog. Er würde das blutige Messer niemals in die Spülmaschinen schmuggeln können, die jetzt in der Küche der Tagesstätte auf vollen Touren liefen.
    Er konnte es nicht einmal berühren, um seine Finger abdrücke abzuwischen, obwohl das doch wirklich sein musste.
    Nichts in seinem bisherigen Leben hatte ihn auf diese Si tuation vorbereitet.
    Er setzte sich auf zitternden Beinen in Bewegung.
    Wohin ging er jetzt? Zu seinem Auto. Zu seinem Gebor genheit schenkenden Auto, das ihn mit einer harten, unbe zwingbaren Schale umschließen würde. Als er an sein Auto dachte, überkam ihn verzweifelte Sehnsucht nach dem Le ben, wie es bis zum Vormittag gewesen war. Da war es wich tig gewesen, dass die Sojamarinade nicht leckte, weil er kei ne weiteren Flecken auf dem Rücksitz des alten Ford ha ben wollte.
    Aber jetzt war alles verändert, für immer. Er hatte den Bo den unter den Füßen verloren, er wusste nicht einmal mit Sicherheit, wer er war.
    Er hatte einen jungen Mann ermordet. Er hatte das schrecklichste Verbrechen begangen, fast durch ein Verse hen.
    Wenn die Kinder nicht gewesen wären, hätte ein Autoun fall vielleicht die Lösung sein können. Er hätte sich ins Auto setzen, hätte einen Betonpfeiler unter irgendeiner Brücke ansteuern können, das Gaspedal durchtreten, spüren, wie der Wagen schneller wurde. Er glaubte, er hätte dort im Wa gen Frieden finden

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