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Wofuer es sich zu sterben lohnt

Titel: Wofuer es sich zu sterben lohnt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åsa Nilsonne
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können, während er sich immer schnel ler der radikalsten Lösung für alle Lebenskrisen näherte.
    Vielleicht sollte er lieber gleich aufgeben. Die Polizei an rufen und alles zugeben. Elend und Ungewissheit ein Ende setzen.
    Er stolperte vorwärts und wäre fast mit einem Mädchen zusammengestoßen, das in die Gegenrichtung stolperte. Zuerst wurde er von Panik erfasst - eine Zeugin! Dann war er ein wenig erleichtert - das hier war eine Zeugin, die sich wohl kaum an ihn erinnern würde, nicht am nächsten und auch an keinem anderen Tag. Sie konnte sich ja kaum auf den Beinen halten, ihre Kleidung war befleckt von Wein und Gras.
    Und in der zunehmenden Dunkelheit erkannte er sie plötzlich - es war die kleine Tina, die bei ihm um die Ecke wohnte. Die kleine Tina, die erst fünfzehn war - was war mit ihr geschehen, was geschah mit all den kleinen Prin zessinnen?
    Er packte sie am Arm, hielt sie fest.
    »Tina, was ist los?«
    Fast lautlos glitt ein schweres Motorrad vorbei. Es war ein Mysterium und ein wenig unheimlich, dass eine Maschi ne, die dermaßen ohrenbetäubenden Lärm machte, sich auch so leise dahinschleichen konnte wie ein kraftvolles Katzentier.
    Vorsichtig ließ er Tina ins Gras sinken und zog den Kamm aus der Tasche des Mädchens. Er kämmte sich Moos und kleine Zweige aus den Haaren und zog dann die Jacke aus, die an der Schulter einen großen dunklen Erd und Gras fleck hatte. Jetzt war nur noch seine verdreckte Hose übrig, und nun hatte er immerhin einen Plan.
    »Komm, Tina, ich fahre dich nach Hause.«
    Und Tina stolperte neben ihm her, er wusste nicht so ge nau, ob sie ihn erkannt hatte, als er sie auf den Beifahrer sitz schob und den Sicherheitsgurt über ihrem hilflosen Körper schloss.
    Er wagte nicht, Marie anzurufen. Er wusste, dass man To desfälle nicht auf die Minute genau festlegen kann. Er hat te keine Ahnung, wie lange er dort im Gras gelegen hatte, aber er wusste, dass er behaupten musste, nie auch nur ein Wort mit Juri gewechselt zu haben. Er war aus dem Haus gegangen, um sich ein wenig abzukühlen, er hatte Tina ge funden und nach Hause gefahren. Wann das alles passiert war? Er musste sagen, dass er nicht auf die Uhr geschaut hatte. Das war ja immerhin die Wahrheit.
    Plötzlich wimmerte Tina und erbrach sich ausgiebig über ihre Knie, über seine Knie, über den Wagenboden. Er hielt an und säuberte sie und sich, so gut das eben ging.
    Einige Minuten später stand er vor dem kleinen Reihen haus, das aussah wie sein eigenes, und griff zu dem abge nutzten Euphemismus:
    »Ich habe Tina nach Hause gefahren, ihr war ein wenig schlecht …«
    Tinas erschrockene Eltern sahen so überrumpelt aus wie die meisten in dieser Situation. Während sie Tina ins Haus schafften, brach ihre Mutter in Tränen aus, und ihr Vater versprach, die Reinigung des Autos zu bezahlen.
    Matildas Vater wollte schon sagen, das sei nicht nötig, aber dann ging ihm auf, dass das das Beste war, was ihm passieren könnte.
    Also sagte er freundlich:
    »Das wäre nett. Ich bringe es morgen zu Hasse.«
    Mit etwas Glück würden Tinas Eltern nicht auf die Uhr schauen. Mit viel Glück hatte er jetzt sogar ein Alibi.
    Aber was half das, wenn das Messer seine Fingerabdrü cke aufwies? Er konnte nicht begreifen, warum er sich nicht die Zeit genommen hatte, den Messergriff abzuwischen. Als er an den gewöhnlichen Messergriff dachte, der aus dem leblosen Körper ragte, drehte sein Magen sich unter Pro test um. Er musste schlucken, um sich nicht übergeben zu müssen.
    Eben, das war der Grund.
     
    Jonatan hatte sein Kissen, seinen Arm und sein Knie ge küsst, zur Vorbereitung auf den Tag, an dem er endlich ein Mädchen küssen würde, heiß und leidenschaftlich.
    Dieser Tag hatte auf sich warten lassen.
    Aber heute Abend, ausgerechnet in der Tagesstätte Wald erdbeere, jetzt, wo er siebzehn Jahre alt war und noch im mer ungeküsst (was nicht ungewöhnlich war, hatte ihm sein älterer Bruder gesagt, der gerade auf Urlaub vom Mili tär war, wo er eine Ausbildung als Seenotretter absolvierte), schien das Glück ihm endlich hold zu sein.
    Vivi, die so klein war und so hübsch, dass er es nicht ein mal in der Phantasie gewagt hatte, sich ihr zu nähern, hatte sich plötzlich neben ihn gesetzt.
    Sie hatte sich an ihn geschmiegt und angefangen, Hun dehaare von seinem Pullover zu pflücken. Ihre kleinen Fin ger hatten ihn so leicht berührt, dass er es anfangs fast gar nicht gespürt hatte. Aber dann hatte seine Haut reagiert, sein ganzer

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