Wofuer es sich zu sterben lohnt
Notwehr oder um Mariam zu verteidigen. Theo und Mariam, neben der Bühne, auf der Salomon erschossen worden war.
Monika ahmte Tigists Geste nach und tippte sich an die Stirn. Sie hatte Mariam als Opfer eingestuft, als jemand, der ihr leidtun musste. Aus Afrika nach Schweden gekom men, alleinstehende Mutter, Arbeit ohne Sozialstatus, ge ringe Schwedischkenntnisse. Klein. Es gab vieles, was sie und Bosse nicht gesehen hatten.
Und ein Hauch von schlechtem Gewissen meldete sich. Sie hatte nicht akzeptieren können, dass der Hauswirt schaftslehrer sich von Helenas Aussehen und ihrer Anpas sungsfähigkeit hatte in die Irre führen lassen. Und jetzt hat te sie denselben Fehler begangen.
Sie würde ihm gleich nach ihrer Rückkehr eine Mail schi cken.
Tigist hatte inzwischen den letzten Brief hervorgezogen. Sie stieß einen Pfiff aus.
»Monika! Hör dir das an! Das hier hat Mariam am Tag vor dem Mord an Salomon geschrieben … seit damals in Genf ist es mir ein Bedürfnis geworden, dir zu schreiben, wenn ich nicht weiß, was ich tun soll … liebe Schwester, ich bin so froh darüber, dass es dich gibt … jetzt werde ich dir erzählen, was geschehen ist … Salomon hat meinen Computer geknackt … es ist meine Schuld, ich hatte ihn eingeladen. Er weiß jetzt fast alles über meinen Nebenver dienst - er hat Paterson und die Firma gefunden, die mei ne Dienste vermittelt. Es ist wirklich eine Katastrophe … habe Salomon noch nie so wütend erlebt … eigentlich war es auch komisch… er, der so viel Wert auf Sprache legt, warf plötzlich die Analyseebenen total durcheinander. Er nann te Paterson ein Kapitalistenschwein, einen rassistischen Ko lonisten, einen unethischen Arzt, dem man die Zulassung entziehen müsse, einen Verbrecher, der vor Gericht gehörte und endlich einen Sünder, der in der Hölle brennen müs se. Der Alte nimmt nämlich zweihundertmal mehr für die Analyse der Röntgenbilder, als er mir bezahlt. Jedenfalls war Salomons Lösung für dieses Problem, wie für alle Prob leme, dass er darüber eine Fernsehsendung macht. Er hat te sich schon alles genau überlegt. Es sollte damit anfan gen, dass ich, müde nach einem langen Tag im Kranken haus, Patersons Röntgenbilder analysiere, und es sollte die Reportage seines Lebens werden. Er wollte eine dringend nötige Diskussion darüber anstoßen, wie der Westen Afri ka ausbeutet - das intellektuelle Afrika. Ich sagte natürlich nein. Er fand mich ebenso schuldig wie Paterson, wenn ich mich für seine eigensüchtige Reportage nicht zur Verfügung stellte … Salomon beruhigte sich und ging, aber er hat ge nug Material für seine Sendung. Halleluja - das wäre das Ende für mein Röntgenzentrum hier in Addis. Ich kann es mir nicht leisten, in eine solche Geschichte hineingezogen zu werden. Also weiß ich nicht so recht, was ich tun soll, aber eins steht fest: Salomon wird weder mir noch meiner Arbeit schaden. Da kannst du sicher sein…«
Tigist faltete den Brief zusammen.
»Das ist zum Wahnsinnigwerden. Wieso hat die Person uns solche Informationen vorenthalten? Das ist doch kri minell.«
»Vergiss nicht, dass du ihr schon Amnestie zugesichert hast.«
»Aber das hier ist doch ein Motiv - es könnte ein Mo tiv sein. Wir haben Salomons Mitarbeiter vernommen und uns erkundigt, an was für Reportagen er vor seinem Tod ge arbeitet hat. Wir haben eine Menge Zeit damit vergeudet, Leute von einem landwirtschaftlichen Projekt zu befragen, das eine Menge Entwicklungsgelder veruntreut hatte. Ohne irgendein Ergebnis. Und dann lag alles ordentlich niederge schrieben bei ihrer Schwester in der Schublade.«
»Aber was«, fragte Monika, deren Gedanken ihr ebenso unbeholfen vorkamen wie ihre Beine beim Treppensteigen. »Was hat Mariam denn getan? Wer ist dieser Paterson? Wa rum fand Salomon das alles so wichtig? Warum hat Ma riam solche Angst?«
Tigist strahlte.
»Ist es nicht wunderbar, endlich klare, festumrissene Fra gen zu haben? Das alles werden wir herausfinden, und dann wirst du sehen, dass wir das Geschehene genau rekonstruie ren können. Hier in Addis und bei dir in Stockholm.«
»Wenn unsere beiden Morde wirklich zusammenhän gen.«
Tigist hob die Hände, wie um ein Geschenk entgegen zunehmen.
»Dein Mord hat für mich und meine Ermittlung schon ganz neue Wege eröffnet. Auf diese Weise hängen die Fälle auf jeden Fall zusammen. Sie hängen durch Theo zusam men. Und jetzt sprechen wir weiter mit Halleluja.«
Halleluja schien mit dem Schlimmsten zu rechnen.
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