Wofür stehst Du?
Großstadt, zunächst als Touristinnen, aber sie wollten in Deutschland arbeiten. Bulgarien war damals noch kein EU-Land, deshalb führten die jungen Frauen zunächst ein Leben als Illegale. Sie hatten keinen Arbeitsvertrag, keine Krankenversicherung und keinen Rückweg in ihre Heimat, ständig fürchteten sie, von einer Polizeistreife aufgegriffen zu werden. Als ihr Vater schwer erkrankte, trauten sie sich aus Angst, nicht wieder nach Deutschland zurückkehren zu können, nicht nach Hause. Das brach ihnen fast das Herz. Und als der nette Italiener sich einmal vor einer behördlichen Kontrolle fürchtete, bat er eine der Schwestern, doch eine Zeit lang lieber nicht zur Arbeit zu kommen, er werde sie trotzdem bezahlen. Sie hat das Geld nie bekommen.
Schließlich fanden die beiden doch noch einen Weg,zu einer Aufenthaltsgenehmigung zu kommen: Sie gingen Scheinehen mit Deutschen ein. Ihre kargen Erzählungen lassen einen Abgrund der Bitterkeit und Demütigung erahnen: Das sauer verdiente Geld für die Hochzeit, die Erpressungen durch den falschen Ehemann, wohl auch die Abwehr sexueller Nötigungen. Erst die Aufnahme Bulgariens in die EU brachte den Schwestern eine Verbesserung. Mögen die beiden dieses Land, in dem sie einen so hohen Preis bezahlen mussten? Die Jüngere sagt: »Ich kenne es kaum.« Inzwischen ist auch der ältere Bruder aus Sofia in die deutsche Stadt gekommen. Die jüngere Schwester verfolgt unbeirrt ein Ziel: Eines Tages will sie ihr eigenes Restaurant aufmachen, »alles ganz legal«.
Im Mai 2009 trat ein Abkommen zwischen Italien und Libyen in Kraft. Es besagt, dass afrikanische Flüchtlinge, die vor den Küsten Italiens aufgegriffen werden, von der italienischen Polizei, später auch von italienisch-libyschen Patrouillen, ohne Prüfung jeglichen Asylbegehrens abgewiesen und in Gaddafis Libyen abgeschoben werden können, nicht einmal eine oberflächliche medizinische Prüfung ist mehr vorgesehen. Ein italienischer Polizist hat versucht, gegenüber der Zeitung la Repubblica sein Gewissen zu erleichtern: Nie zuvor in seinem Leben habe er eine so grausame Aufgabe erfüllen müssen, nie werde er den Mut aufbringen, seinen Kindern davon zu berichten, dazu schäme er sich zu sehr. Männer und Frauen aus Nigeria, Somalia oder Äthiopien, von der Reise komplett entkräftet, hätten ihn und die anderen Polizisten angefleht und um Gnade gebettelt: »Helft uns, Brüder!« oder:»Italiener sind doch gute Menschen!« Aber die Polizisten halfen ihnen nicht.
Fabrizio Gatti, ein Meister der investigativen Recherche, der für das Magazin L’Espresso schreibt, hat dokumentiert, was den abgeschobenen Flüchtlingen in ihrer Heimat blüht: Sie werden in Libyen in Lager gesteckt, die sich jeder internationalen Kontrolle entziehen und in denen Misshandlungen, Folter und Vergewaltigungen offenbar an der Tagesordnung sind. Es spricht auch einiges dafür, dass Flüchtlinge in der Wüste ausgesetzt werden, wo sie qualvoll verenden. Gatti hat ebenfalls dokumentiert, was mit jenen passiert, die es tatsächlich schaffen, im gelobten Land zu bleiben: Erst haben sie die erniedrigende Erfahrung des Auffanglagers auf Lampedusa zu überstehen, in das Gatti sich einmal, als Flüchtling verkleidet, eingeschleust hat. Und auch danach tut Italien alles, um diesem zeitweilig großen Ansturm zu widerstehen. Man könne, da würden wahrscheinlich alle anderen westeuropäischen Staaten ähnlich argumentieren, keine Masseneinwanderung von Illegalen verkraften.
Dafür gibt es mit Blick auf den inneren Frieden der jeweiligen Länder auch gute Gründe. Das Verlogene aber ist: Diese illegalen Einwanderer halten die italienische Wirtschaft in Gang. Für Hungerlöhne, rechtlos und in ständiger Angst, helfen sie im Süden bei der Tomatenernte, schuften in den kleinen und mittleren Betrieben des Nordens, putzen Büros und spülen – auch in Deutschland oft zu besichtigen – in Restaurants die Teller. Man kann sagen: Wenn afrikanische Migranten ganzgroßes Glück haben, die Überfahrt überleben und das Auffanglager überstehen, dann blühen ihnen lange Jahre als Arbeitssklaven.
Gegen diese Doppelmoral, gegen diese Ausbeutung müssten wir eigentlich jede Woche eine Lichterkette organisieren, und zwar hier in Deutschland, denn es ist auch unsere, die europäische Grenze zu Afrika, an der diese Dinge geschehen. Es kümmern sich aber nur ein paar Unentwegte wie Fabrizio Gatti oder Human Rights Watch .
Wir wollen zu oft nicht wirklich wissen,
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