Wofür stehst Du?
hintaher vahaftet zu werden«, sagte er. »War jut.«
Ich hatte plötzlich das Gefühl, im interessantesten Land der Welt zu leben, und entdeckte, dass eben dies das Bemerkenswerte an Deutschland ist: die Brüche, die Umwälzungen, das Widersprüchliche – und wie man damit umgegangen ist.
Ich fand auch heraus, dass ich Heimatgefühl und Nichtfremdsein nicht mit Landstrichen, Städten, Stimmungen verbinde, sondern mit diesen Geschichten und mit der Sprache, in der sie erzählt wurden und erzählt werden müssen.
Wenn es um Ausländer geht, schwanken die Deutschen zwischen zwei Extremen: Da ist zum einen eine Art Verklärung, die sie manchmal blind macht selbst für die offensichtlichsten Fehlentwicklungen in den verschiedenen Einwanderergruppen, zum anderen aber eine verletzend wirkende Gleichgültigkeit.
Besonders gerne redet man sich den Italiener schön. Man kennt ihn in Deutschland fast ausschließlich in seiner Erscheinungsform als Wirt oder Kellner. Dabei hat er sich seiner Umgebung hier oft schon so weit angepasst, dass er mit Italienern in Italien kaum noch verglichen werden kann: Überschwänglich radebrechend begrüßt er seine Gäste, die er mit Komplimenten überhäuft. (In Italien würde man das als eher kauzig ansehen.) Froh gestimmt unterstützt er den Weinkonsum seiner Gäste, die wie festgewurzelt im Lokal sitzen. (In Italien kommt es auf schnellen, effizienten Service an, und viel zu trinken ist absolut verpönt.) Er spielt den Romantiker und läuft den Damen, die das Lokal verlassen, noch mit einer Rose hinterher. (Der Italiener ist aber in Wahrheit, es tut mir leid, das zu sagen, durch und durch unromantisch; er ist ein nüchtern kalkulierender Pragmatiker.)
Jedenfalls gelten Italiener schon lange nicht mehr als »Gastarbeiter«, jeder hält sie für besonders gut integriert. Das stimmt aber nur zum Teil. Der Anteil an Sonderschülern zum Beispiel ist in keiner anderen ethnischen Gruppe in Deutschland so hoch wie unter italienischen Kindern. Darüber zu reden, ist aus Gründen falsch verstandener Toleranz immer noch ein Wagnis. So weit ist das Pendel inzwischen auf die andere Seite ausgeschlagen.
Dabei hilft ein Übermaß an Rücksicht den Italienern im Ausland gar nichts. Viele Familien tragen selbst dazu bei, dass ihre Kinder keine Chance in der Schule haben: Sie reden mit ihnen zu Hause nur Italienisch, dank Satellitenschüssel laufen in vielen Haushalten überwiegend italienische Fernsehprogramme, und in den Ferien werden dieKinder regelmäßig nach Italien geschickt. Das hören auch viele Italiener nicht gerne, aber es ist so.
Und wahr bleibt auch das Grundprinzip der Einwanderung: Sie tut so oder so weh, und Linderung verspricht nur die Aussicht darauf, sich selber, spätestens aber seinen Kindern durch eigene Tüchtigkeit eine bessere Zukunft zu ermöglichen.
Auf der anderen Seite ist da diese Gleichgültigkeit. Neulich sprach ich bei meinem Italiener um die Ecke mit einer Kellnerin, die jung und sehr tüchtig ist. Sie spricht fast noch besser Italienisch als Deutsch, ist aber keine Italienerin, sondern Rumänin. Das merken die meisten Gäste nicht – und sagen deshalb gerne solche Sätze zu ihr: »Ach, Sie sind Italienerin, das ist ja schön! Aus welcher Gegend kommen Sie denn?« Das ist freundlich gemeint. Dann antwortet sie: »Ich bin keine Italienerin, ich komme aus Rumänien.« Die Kellnerin hört dann verlegen gesprochene Sätze wie: »Rumänien – auch schön ….« Sie glaubt dann, Enttäuschung und auch Geringschätzung in den Gesichtern lesen zu können, sie sagt: »Wie ich diesen Moment hasse!« Manchmal besteht Integration nur aus ein paar Worten, aber die fallen offenbar schwerer als die Bereitstellung von Sprachkursen oder Geld.
Wie gesagt, die Deutschen lieben ihren »Italiener«. Das Lokal, das ich jetzt vor Augen habe und von dem ich erzähle, ist in einer deutschen Großstadt zu finden. Es wird besonders gern vom örtlichen linken Establishment besucht. Die Gäste sind nett und freundlich zum Personal und kritisch, was das Essen angeht. Warum aber fallen ihnen die beiden Kellnerinnen nicht auf? Nun ja, auffallen tun sie ihnen eigentlich schon, weil sie besonders fürsorglich und hilfsbereit sind. Und schön anzuschauen sind sie auch. Aber niemand scheint sich für ihre Geschichte zu interessieren, obwohl die Kellnerinnen seit Jahren für den italienischen Wirt arbeiten.
Die beiden sind Schwestern. Kaum volljährig geworden, kamen sie aus Sofia in die deutsche
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