Wofür stehst Du?
er mir voller Stolz zeigte. Besonders angetan hatte es mir ein Heft, in das schon fast alle Sportbilder eingeklebt waren. Ich muss es wohl sehr begierig oder bewundernd oder auch nur voller Neid angeschaut haben, denn plötzlich nahm Gelsomino dieses wunderbare Album und sagte: »Ich schenke es dir!« Ich weiß heute noch, was ich damals empfand: Dass dies ein unbegreiflich großes, überwältigendes Geschenk war – und dass ich selbst wohl nie so großzügig gewesen wäre. Ich weiß auch noch, dass ich mich zugleich beschämt fühlte und Gelsominos Mutter beim Abschied von dem Geschenk erzählte. Sie sagte so etwas wie »Siehst du!«, so als wolle sie sagen, dass Gelsomino, der von mir so wenig gewürdigt und von Herrn Gelasio so schlecht behandelt worden war, doch ein ganz feiner Kerl sei.
Wenn es mir heute wieder einmal schwerfällt, mich von etwas zu trennen, dann denke ich manchmal noch an Gelsomino. Ich hoffe, dass er es gut hat im Leben – und dass er vielleicht auf andere Menschen gestoßen ist, die ihm mit einer Größe begegnet sind, die ich gerne gehabt hätte.
Einer meiner Söhne (da war er dreizehn und wir wohnten am Stadtrand, im Grünen) wollte sich eine Waffe kaufen, vom Taschengeld. Eine Softair-Pistole. Softair-Pistolen verschießen mit Luftdruck gelbe Plastikkugeln, die blaue Flecken machen.
Ob er zu retten sei, fragte ich. Ob er mal das Wort »Winnenden« gehört habe. Ob er wolle, dass wir jeden Tag um sein Augenlicht und das anderer Kinder fürchten müssten.
Ob ich nicht wüsste, dass alle anderen Jungens Softair-Pistolen hätten, fragte er. Sie würden sich damit in speziell geeigneten Hallen beschießen. Ob ich nie gehört hätte, dass sie Schutzbrillen dabei trügen, damit nichts passiere.
In speziellen Hallen?, fragte ich.
Mir fiel ein, dass er zehn Jahre zuvor einen anderen Buben im Streit mit einer Holzkasperfigur auf den Kopf geschlagen hatte. Darauf erschien der Vater dieses Buben bei mir, ein immer betont sanfter Mann, der mich mit gezwitschertem »Hallo, du!« begrüßte und sich mit einem »Tschüss, du!« verabschiedete, weshalb er jahrelang in unserer Familie nur der Tschüssdu hieß. Warf mir vor, es gebe in meiner Familie ein Gewaltproblem. »Heute ist es eine Holzkasperfigur, später ist es ein Baseballschläger«, sagte er.
Nun, zehn Jahre darauf, war die Brille meines Sohnes von einem anderen Buben mit einer Softair-Pistole zerschossen worden. Der Täter: der Sohn von Tschüssdu, den mein Sohn damals mit dem Holzkasper schlug. Ich überlegte, zu dem Vater zu gehen und ihm zu sagen, dass es in seiner Familie ein Waffenproblem gebe, und dann den Satz nachzureichen: »Heute ist es eine Softair-Pistole – und morgen?« Nur so, rachehalber.
Aber mein Sohn bekniete mich zu schweigen. Dem anderen sei das Spielen mit Pistolen streng verboten. Da ließ ich die Sache auf sich beruhen.
Ich dachte an die Zeiten, in denen ich dreizehn war.Ich las Karl-May-Romane, in denen Menschen die Kopfhaut bei lebendigem Leib heruntergeschnitten wird. Ich dachte an die Erbsenpistolen, mit denen wir uns beballerten, harmlos im Vergleich zu Softair-Pistolen, und an die Gummizwillen, die wir nahmen, um doppelspitzige Eisenkrampen zu verschießen – nicht harmlos! Und an das Luftgewehr meines Freundes, mit dem wir in der Jugendherberge auf Dosenstapel neben der Tür schossen, bis der Herbergsvater in der Tür stand und in die Mündung des Luftgewehrs blickte.
Wir mussten dann woanders übernachten.
Ich dachte, dass ich es geliebt hätte, Paintball zu spielen, bei dem sich Leute mit Softair-Waffen beschießen und jeder Treffer einen Farbklecks hinterlässt. Wenn es Paintball schon gegeben hätte … Und dass ich dieses Spiel heute albern finde. Dass es aber gleichzeitig ein Schmarrn sei, es zu verbieten, wie es gerade diskutiert wurde, dachte ich, nur damit ein paar Leute durch dieses Verbot ein gutes Gewissen haben. Dass ich es andererseits auch wieder gut finde, dass über ein solches Verbot diskutiert wird.
Warum?
Es ist immer gut, wenn diskutiert wird.
Wir hatten zu Hause dann eine weitere heftige Debatte über die Softair-Pistole. Wir sagten unserem Sohn, wie gefährlich die sei, wie täuschend sie echten Waffen ähnele, dass er sie nur unter bestimmten Bedingungen benutzen dürfe.
Dann erlaubten wir ihm den Kauf.
Am nächsten Tag stand in der Zeitung, die Polizei habe Jugendlichen in einem Wald Softair-Waffenabgenommen, mit denen sie sich beschossen hätten. Zwar sei der Besitz
Weitere Kostenlose Bücher