Wofür stehst Du?
solcher Waffen erlaubt, aber nicht deren Benutzung in der Öffentlichkeit. Diesen Artikel lasen wir dem Sohn vor.
Seitdem lag die Pistole in seinem Zimmer. Manchmal, wenn ein Freund da war, schossen sie aus dem Fenster auf eine Mauer gegenüber. Ab und zu verabredeten sie sich mit anderen zu einer Softair-Schlacht. Und seit einem Jahr liegt die Pistole im Schrank, nie wieder angerührt.
Ich erinnere mich an die Zeiten, in denen ich sehr lange Haare hatte, ungefähr bis zur Gürtellinie, in denen ich grundsätzlich nur in Röhrenjeans und mit einem schmalen Lederband um die Stirn aus dem Haus ging und ungefähr wie das Gegenteil eines Sohnes aussah, den sich mein Vater wünschte. Und in denen er mich jeden Abend mit seiner Frage sekkierte, wann ich denn endlich zum Friseur ginge.
Wir gingen uns entsetzlich auf die Nerven, jeder dem anderen.
Aber in jenen Jahren verschaffte er mir immer wieder Jobs, um in den Ferien etwas Geld zu verdienen, unter anderem in seinem eigenen Büro. Dann ging ich mittags mit ihm bisweilen im Casino der Industrie- und Handelskammer essen und saß zwischen lauter Geschäftsführern in Anzug und Krawatte. Es muss ihm sehr unangenehm gewesen sein, dass sein Sohn aussah wie ein »Revoluzzer«, aber er ließ nie auch nur eine Sekunde einen Zweifel daran, dass ich sein Sohn sei und dass er (was er so nie, nie, nie gesagt hätte) mich liebte.
Er hielt das aus, wie ich war und wie ich aussah und dass ich ihn verachtete, er hielt es einfach aus. Und es war großartig, dass er es aushielt, denn das ist, was Eltern manchmal einfach können müssen und worin sich ihre Liebe vielleicht in schwierigen Zeiten am allermeisten ausdrückt: die Dinge auszuhalten.
Ich glaube, dass es zu den positiven Merkmalen unserer Generation gehört, dass sie gelernt hat und immer noch lernt, sich der Kritik, dem Selbstzweifel zu stellen. Das hat seinen Preis, denn es kann sehr quälend sein. Man erarbeitet sich das Leben, gemeinsam, mit den Kindern, seinem Partner. Das ist für mich Familie. Vielleicht hat es nicht viele Generationen gegeben, die das alles so ernst genommen haben wie wir. Vielleicht ist es aber auch vermessen, so etwas zu behaupten. Auf jeden Fall finde ich: Diese Form von Familie hat überhaupt nichts von dem Langweiligen oder Spießigen, das in dem Wort seit Helmut Kohl und seiner »Famillje« immer nachklingt. Sie ist ein großes, sehr aufregendes Abenteuer.
Ein Satz, den ich nie verstanden habe, lautet: Ich bereue nichts. Wie muss man beschaffen sein, wenn man das mit voller Überzeugung von sich behaupten kann? Ist man dann besonders trotzig? Oder besonders vergesslich? Oder nur besonders einfältig?
Ich bereue ganz viel. Die Geschichte mit Birgit, einersehr guten Freundin, verfolgt mich seit mehr als zwanzig Jahren.
Birgit war gerade dreißig geworden, als sie sich neu verliebte. Kurz zuvor hatte sie, nach langem Kampf, ihre erste feste Arbeitsstelle gefunden, an der sie sehr hing. Wir wussten jedoch alle, dass sie sich nichts sehnlicher wünschte als eine Familie mit Kindern. Aber sie hatte eine unübersehbare Neigung, sich in Männer zu verlieben, denen es schwerfiel, sich darauf festzulegen.
Schon wenige Monate nach den ersten Treffen mit ihrem neuen Freund wurde Birgit schwanger, der Vater des Kindes bekam es – wie erwartet – mit der Angst zu tun. Er drängte sie nicht zur Abtreibung, aber er sagte ihr, dass ein Kind in ihrem gemeinsamen Leben zu früh käme. Und dass er die Entscheidung ihr überlasse und seiner Unterhaltspflicht nachkommen werde, wenn sie das Kind bekommen wolle. Das war vielleicht gar nicht als Drohung gemeint, aber für sie fühlte es sich doch so an.
Nun suchte Birgit den Rat ihrer engsten Freunde. Ich war einer der Letzten, die sie konsultierte. Ich sagte ihr, dass ich ihren Freund gut leiden könne, dass ich ihn aber eben auch für einen Angsthasen hielte und ihm nicht ganz traute. Und dass sie, wenn sie sich eine richtige Familie wünsche, in der Vater und Mutter sich um das Kind kümmern, doch lieber etwas warten solle. Obwohl ich es nicht aussprach, wollte ich ihr damit auch sagen, dass sie vielleicht einen etwas verlässlicheren Partner finden würde.
Birgit hatte während unseres Gespräches geweint, nun saß sie da, ziemlich stumm. Schließlich sagte sie:»Das haben mir alle anderen auch schon so gesagt.« Ich fühlte mich damals in meiner Meinung bestätigt, statt gerade deswegen besonders alarmiert zu sein. Das Recht auf Abtreibung war für mich
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