Wofuer wir kaempfen
Explosionsstaub enthaltenen Ruß- und Verbrennungspartikel, oft verbacken zu einem schwarzen Schorf verbrannter Haut. Viren, Bakterien, Keime, Staub – dieser ganze Giftcocktail strömt in die Wunden der Explosionsopfer, um im Körper das Inferno fortzusetzen, das sie gerade überlebt haben. Die Ärzte müssen daher aus den verunreinigten Wunden und von den Wundrändern zusätzlich große Hautteile und weitere Knochenpartien entfernen, so lange, bis ein sauberes Wundbild entsteht. Der Blutverlust bei diesen Prozeduren ist enorm.
Das nächste Problem: Die Wunde muss offen heilen. Die Ärzte nähen nicht gleich alles zu, damit Infektionen und Eiter keine Blasen im Körper bilden, sondern die Wundsekrete immer wieder aus dem Körper abgesaugt werden können. Eine extrem aufwändige und schmerzhafte Prozedur. Die Wunde
soll so von innen nach außen heilen – das alles sind sehr langwierige Prozesse, die dem Körper alles abverlangen.
Tino hat zusätzlich zu den Knochenbrüchen ein sehr schweres Kompartmentsyndrom in beiden Beinen. Bei der Explosion werden die Muskeln regelrecht vom Knochen »abgeblasen«, weil der Knochen starr ist und nicht biegsam auf die Druckwelle reagieren kann wie die Muskeln. Im verletzten Muskelgewebe sowie zwischen Muskeln und Knochen entstehen winzige Luftkammern. Es schwillt an wie bei einem Bluterguss. Venen, Arterien und Nerven werden gequetscht und sterben ab, damit verliert der Körper die Verbindung zu dem geschädigten Körperteil und stellt dort die Funktion ein. Durch die Schwellung werden auch die Mikrokapillaren gepresst, die einerseits für den Sauerstofftransport in das Gewebe sorgen, andererseits Schadstoffe und totes Zellmaterial abtransportieren sollen. Die Durchblutung stockt und der Körper beginnt sich selbst zu vergiften. Die Folgen sind dramatisch: Mangelnde Durchblutung und fehlende Sauerstoffversorgung – das Bein beginnt abzusterben.
Durch das Kompartmentsyndrom war Tino in großer Gefahr, beide Beine zu verlieren. Um das geschwollene Gewebe wieder zu entlasten und den Druck wegzunehmen, entschlossen sich die Ärzte zur sogenannten Faszienspaltung. Dazu muss das Bein mit langen Schnitten geöffnet werden. Die Muskelfasern werden im Körper von einem Hautsack gebündelt, der den Muskel straff umschließt – dem Fasziensack. Schwellen die Muskelfasern an, erhöht sich der Druck, weil sich der Fasziensack nicht elastisch ausdehnen kann. Die einzige Methode, den Druck von den Muskelfasern zu nehmen, ist das Aufschneiden des Fasziensacks. Ich kann heute noch sehen, was die Ärzte damals mit Tino gemacht haben, um seine Beine zu retten: Die Narben sind über 40 Zentimeter lang. Es müssen tiefe Schnitte gewesen sein. Schnitte bis auf den Knochen.
Für Tino und vor allem für Stefan sieht es zunächst ganz schlecht aus. Die folgenden Tage werden darüber entscheiden, ob ihr Körper genügend Kraft und Lebenswillen hat, seine Funktionen in den verletzten Bereichen wiederaufzunehmen. Die beiden haben nur ein einziges, aber unschlagbares Plus: Sie haben die Explosion überlebt.
Eine weitere Voraussetzung für das Überleben einer Explosion sind gute Ärzte und eine rasche, entschlossene und umfassende Hilfe. Auch hier hatten Tino und Stefan wieder viel Glück. Die Soldaten, die als Ersthelfer am Explosionsort waren, wussten, was sie tun müssen. Sie banden den Verletzten die Beine ab und konnten die Blutungen stoppen, sie setzten Betäubungsspritzen, um den Schmerz zu lindern, den Schock zu dämpfen und die Verletzten ruhigzustellen. Tino und Stefan ist klar, dass sie diesen Soldaten ihr Leben verdanken. Ohne ihr beherztes Handeln wäre ihr Leben noch am Anschlagsort erloschen.
Diese Soldaten begaben sich selbst in Lebensgefahr. Weitere Attentäter hätten im Hinterhalt auf die Helfer lauern können, um weitere Sprengsätze zu zünden. Immer wieder gibt es solche heimtückischen Fallen. Die erste Bombe lockt die Schaulustigen und die Rettungseinheiten an – die zweite Bombe vernichtet beide.
Tino und Stefan wissen bis heute nicht, wer ihre Retter waren, sie konnten sich nicht bei ihnen bedanken. Nach der Erstversorgung im amerikanischen Feldlazarett wurde auch Tino in das besser ausgestattete deutsche Einsatzlazarett im Camp Warehouse gebracht. Die Mediziner hier sind Experten auf dem Gebiet der Blast Injuries und der Notfallhilfe.
So in etwa war die Situation in Kabul, während es bei uns in den Nachrichten hieß: »Ein Schwer- und ein Leichtverletzter nach
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