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Wofuer wir kaempfen

Wofuer wir kaempfen

Titel: Wofuer wir kaempfen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tino Kaeßner , Antje Kaeßner
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Anschlag in Afghanistan.« Diese knappe Information wird bis Dienstagabend die einzige Nachricht über den
Zustand unserer Männer bleiben. Die Ärzte in Kabul haben über das Sanitätsführungskommando in Koblenz und das Einsatzkräfteführungskommando in Potsdam den MedEvac-Airbus für die sofortige Evakuierung der beiden Verletzten nach Deutschland angefordert. Sie wissen, dass sie Stefan und Tino mit den Mitteln des Einsatzlazaretts in Kabul nicht am Leben erhalten können. Der Alarmruf setzt eine einzigartige Logistik in Gang, an der Hunderte Menschen beteiligt sind. Zwischen den Medizinern im Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz und dem deutschen Feldlazarett in Kabul beginnt ein reger Austausch medizinischer Daten, Diagnosen und Therapiestrategien. Die Ärzte in Deutschland müssen genau wissen, auf welche Verletzungsbilder sie sich einstellen müssen.
    Für den Langstreckenflug nach Usbekistan steht ein Airbus 310 zur Verfügung, die fliegende Intensivstation der Bundeswehr und eines der kostspieligsten und effektivsten Glieder einer weltweit einzigartigen Rettungskette. Von seinem rechtzeitigen Eintreffen 5000 Kilometer von Koblenz entfernt wird jetzt alles abhängen. Die Patienten werden zunehmend schwächer. Sind sie nicht mehr transportfähig, dann werden die Ärzte ihren Kampf aufgeben müssen. Nun werden die nächsten Stunden entscheiden, ob Tino und Stefan noch eine Zukunft haben. In den folgenden Tagen werden Dutzende Mediziner, Pfleger und Krankenschwestern von Kabul bis Koblenz rund um die Uhr für sie kämpfen. Von diesem Wettlauf der Ärzte gegen die Zeit wissen wir in Deutschland nichts, als wir uns am Dienstagmorgen auf den Weg nach Koblenz machen.

Die Fahrt nach Koblenz
    Wenn ich mich heute an die Fahrt von Murnau zu Tino ins Bundeswehrkrankenhaus nach Koblenz zurückerinnere, denke ich sofort an das Geräusch ewig prasselnden Regens auf das Autodach, endlose Wasserschlieren auf den Scheiben und das monotone Wischen abgenutzter Wischblätter, dieses Witsch-Watsch, das den Takt angibt für die Zeit, die mich von Tino trennt – für die Zeit, die mich wieder mit ihm zusammenführen wird.
    Tinos Schwester Heike sitzt mit mir im Wagen. Der VW-Bus ist ein Kommandofahrzeug mit Telefon und Funk. Der Kompaniechef telefoniert immer wieder mit dem Einsatzkräfteführungskommando in Potsdam und seinen Dienststellen in München und Murnau, um Neues zu erfahren, während Spieß Markus Eng unseren Wagen lenkt. Man hört nur »Ja«, »Okay«, »Habe verstanden«. Er hört konzentriert zu. Aber viel hat er nicht zu berichten. Vermutlich sagt er uns auch nicht alles, das Hin und Her der widersprüchlichen Meldungen. Die Soldaten versuchen herauszufinden, ob der MedEvac schon gestartet ist oder noch starten wird. Es gibt Verzögerungen. Später erfahren wir, dass die Mediziner in Kabul und an Bord des MedEvac nicht sicher sind, ob die beiden Patienten den Flug überleben würden. Was soll der Kompaniechef da auch sagen – soll er lügen?
    Hauptfeldwebel Andreas Heiss lenkt den zweiten VW-Bus mit Vio und den Kindern. Die Mutter ist voll damit beschäftigt, ihre Kinder zu unterhalten, die wegen der Reise, deren Sinn sie nicht in ihrer vollen Tragweite begreifen können, aufgeregt alles Neue aufnehmen. Immer wieder summt das Handy von Vio. Es sind die zahlreichen Freunde der Familie, die von dem Unglück gehört haben und nun ihre Wünsche simsen, Mut machen
wollen und ihre Hilfe anbieten. Vio weiß, dass sie nicht allein ist, dass viele Menschen hinter ihr stehen – und sie hat ihre Kinder.
    Zwei VW-Busse, zwei Frauen fahren über die kalte Novemberautobahn nach Koblenz, um ihre Männer heimzuholen – Männer, die sie gesund verabschiedet und umarmt hatten. Männer, die nun verletzt, verwundet, vielleicht verstümmelt wiederkehren.
    Hauptfeldwebel Andreas Heiss ist nicht nur der Kamerad von Stefan, sondern auch ein Freund der Familie Deuschl. Er und Spieß Markus Eng wissen, dass die Reise an einem sehr kritischen Punkt angelangt ist, dass die Fahrt nach Koblenz möglicherweise ins Nichts führt, falls der MedEvac nicht starten konnte.
    Seine Gefühlslage während dieser Fahrt hat mir Markus Eng später so geschildert: »Die sechs Stunden Autobahn von Murnau nach Koblenz waren für mich die längste und bedrückendste Fahrt meines Lebens. Im Radio kamen alle dreißig Minuten die Nachrichten – immer wieder derselbe Text: ein Toter, ein Schwer- und ein Leichtverletzter. Trotzdem waren die Nachrichten immer

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