Wofuer wir kaempfen
Rügen.
Ferienidylle auf Rügen
In unserer Küche in Dresden sitzt meine Mutter Ilona am Fenster. Auch sie schaut in den Regen und denkt an Rügen, unseren letzten gemeinsamen Urlaub vor Tinos erstem Auslandseinsatz – und vor meinem ersten Auslandseinsatz. Damals war ich auch Soldat und stand wie Tino, der nach Afghanistan sollte, vor meinem ersten Einsatz in Bosnien. Dass meine Mutter jetzt an Rügen denkt, hat einen guten Grund. Denn nun war genau das passiert, worüber wir damals am Strand von Rügen gesprochen hatten. Aber ich lasse das Ilona am besten selbst erzählen: »Im Sommer kurz vor Tinos und Antjes erstem Einsatz sind wir alle zusammen für zwei Wochen an die Ostsee nach Rügen gefahren. Tino war fast den ganzen Tag draußen auf dem Meer surfen. Wir konnten vom Strand aus sehen, wie er da durch Wind und Wellen gepflügt ist. In seinem Neoprenanzug machte er eine gute Figur, er war sehr sportlich gebaut. Groß. Schlank. Kein Gramm Fett zu viel, sehr lange, schöne Beine. Und vor allem: immer gute Laune. Es war ein wunderschöner Urlaub. Und ich erlebte Antje mal wieder von einer ganz anderen Seite. Warm. Weich. Und nicht so direkt und schroff, wie sie manchmal eben ankam vor allem bei Leuten, die sie nicht besser kannten.
Die Einsätze für Antje und Tino standen kurz bevor. Das lag für mich die ganze Zeit wie Blei über den paradiesischen Tagen am Meer. In Kabul war gerade der Anschlag auf den Bundeswehrbus passiert mit den vielen Toten und Verwundeten. Die Soldaten freuten sich auf zu Hause, auf ihre Familie – und jetzt kamen neun von ihnen tot zurück in die Heimat. Da waren wir alarmiert und haben Antje zum ersten Mal gefragt, was denn Tino da unten in Afghanistan eigentlich genau macht. Aha, Personenschützer. Damit war Tino natürlich sehr gefährdet, weil er außerhalb des Lagers unterwegs sein würde und
möglichen Attentätern direkt ausgesetzt wäre. Darüber hatten wir vorher nie geredet.
Von Antje wussten wir, dass sie in Bosnien im ärztlichen Dienst, in der Apotheke des Lagers und im Krankenhaus, Dienst tun würde – aber nicht außerhalb des Lagers. Militärisch war es in Bosnien ruhig im Vergleich zu dem, was in Afghanistan ablief. Jedenfalls las man in der Zeitung nichts über irgendwelche Anschläge, und auch Antje berichtete nichts, was uns irgendwie hätte beunruhigen müssen. Wir hatten bis dahin nie daran gezweifelt, dass Antje mit der Bundeswehr die richtige Berufswahl getroffen hatte. Aber jetzt beschäftigte mich zum ersten Mal brennend die Sorge: Was wäre, wenn … ? Und ich merkte, meinem Mann und meiner Tochter ging es genauso. Es war nach dem Surfen, als wir alle erschöpft und selig in unserer Strandburg saßen. Über uns ein blauer Himmel mit Möwengeschrei. Leise Wellen, die an den Strand plätschern. Ein leichter Wind, der die Sonnenhitze etwas abmilderte. Irgendwie kamen wir über das schöne Urlaubsgefühl, diesen wunderbaren Sommer auf die Frage, warum Menschen nicht alle in Frieden zusammenleben und solche Sommer angstfrei genießen können, ganz ohne Krieg. Wir haben offen darüber gesprochen, warum militärische Gewalt eingesetzt werden muss und wieso Tino und Antje mitmachen, sich für andere Leute in Lebensgefahr begeben, obwohl sie persönlich gegen Gewalt sind.
Für Tino und Antje stand immer ganz klar im Vordergrund, dass sie helfen wollten, genau diesen Frieden wiederherzustellen, den wir hier auf Rügen so genossen. Tino schwärmte von den Berichten seines Vorgesetzten Stefan Deuschl, der im Kosovo hautnah miterlebt hatte, wie begeistert der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der KFOR von der Bevölkerung aufgenommen worden war – weil allein durch die Anwesenheit der Soldaten Gewalt verhindert worden sei. Dass die Menschen jetzt eine Zukunft hätten ohne Angst vor Mord, Plünderung
und Vertreibung. Auch die vielen Flüchtlinge in Deutschland würden nun zurück in ihre Heimat können.
Wir kamen auf Afghanistan und die unsichere Lage dort, die Attentate und die Kämpfe zu sprechen. Ich glaube, ich war es, die zuerst die Frage stellte nach einer möglichen Verwundung und den Folgen. Und ob man dazu wirklich bereit wäre. Ich wollte darüber sprechen und ahnte nicht, wie viel Gewicht das alles noch bekommen sollte.
Ich fragte Tino, der gerade noch auf dem Surfbrett gestanden hatte, ganz direkt, welche Verwundung denn für ihn am schlimmsten wäre. Es gab in dieser Situation keine Frage, die man nicht stellen konnte – ich war besorgt, und sie
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