Woge der Begierde
behält. Zum wiederholten Male.«
Jemand drückte die Klinke der Bibliothekstür. »Charles? Bist du da drinnen?«, fragte Daphne von der anderen Seite.
Charles ging hin, öffnete die Tür und zog seine Frau herein, dann schloss er hinter ihr wieder ab. An ihrer freundlichen Miene konnte niemand ihren inneren Aufruhr ablesen, während sie zu dem Trio am anderen Ende des Raumes trat und alle begrüßte. Als sie auf dem Sessel unweit des Kamins Platz nahm, verriet jedoch der verstohlene Blick, den sie ihnen zuwarf, ihren Argwohn.
Nell lächelte ihr herzlich zu und erklärte: »Mach dir keine Sorgen, er hat uns von dem Schmuck erzählt und von
seiner Überzeugung, dass Raoul noch am Leben ist. Wir glauben ihm.«
Erleichterung malte sich auf Daphnes Züge. »Oh, da bin ich aber froh. Ich hatte solche Sorge, dass ihr uns für verrückt haltet.«
Julian lächelte sie an. »Wenn ihr verrückt seid, dann sind wir das auch. Dein Ehemann hat uns davon überzeugt, dass Raoul tatsächlich noch am Leben sein könnte.«
»Nur, dass er das sein könnte ?«, fragte Daphne.
Marcus nickte. »Charles ist davon restlos überzeugt, und du offenbar auch. Bis nicht das Gegenteil bewiesen ist, sind wir bereit, in jeder Weise zu helfen, die uns zur Verfügung steht.«
Es war nicht die begeisterte Bestätigung, die Daphne sich gewünscht hätte, aber es reichte.
Mehrere Minuten lang drehte sich die Unterhaltung um Raoul und ihr weiteres Vorgehen. Sie waren alle der Ansicht, dass sie im Geheimen und mit äußerster Vorsicht ermitteln mussten.
Daphne wusste, es war viel Zeit verstrichen, und jede Minute konnten Adrian und April sie suchen kommen, weswegen sie sagte: »Das können wir nachher weiter besprechen, aber jetzt fürchte ich, könnten meine Geschwister mich suchen.« Sie erhob sich und strich die Falten aus ihrem blass mauvefarbenen Kleid, dann fügte sie trocken hinzu: »Mein Bruder ist jung, aber nicht dumm. Sollte er herausfinden, dass wir hier hinter verschlossenen Türen zusammensitzen, wüsste er sofort, dass irgendetwas in der Luft liegt.«
Charles nickte und ging zur Tür, schloss sie auf und öffnete sie weit. »Denkst du, das hier nimmt ihm den Wind aus den Segeln?«, fragte er leichthin.
»Zweifellos«, erwiderte Daphne und trat zu ihm.
Sie ging gerade an Charles vorbei, als Adrian auf der Schwelle erschien. »Da bist du ja!«, rief er. »Ich habe dich schon überall gesucht.« Er schaute an ihr vorbei und lächelte, als er die anderen sah. »Oh, hallo. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass alle hier sind.«
»Wir wollten gerade gehen«, sagte Daphne rasch. »Äh, Nell wollte die Bibliothek sehen, und ich habe ihr den Raum gezeigt.«
»Und es ist eine sehr schöne Bibliothek«, erklärte Nell, die nun ebenfalls aufstand und mit einem Lächeln zu Adrian erklärte: »Sie können sich glücklich schätzen, so eine wunderbare Büchersammlung zu besitzen.«
Adrian grinste. »Ist an mich verschwendet, fürchte ich. Hab nicht viel mit Lesen am Hut.«
»Nein«, sagte Charles mit einem neckenden Funkeln in den Augen. »Dich findet man viel eher in den Ställen, völlig hingerissen von irgendeinem protzigen Gaul, den ich noch nicht einmal meinem Pächter erlauben würde, geschweige denn selbst besitzen wollte.«
»Das ist ungerecht!«, widersprach Adrian heftig, von Charles’ Worten aber in keinster Weise getroffen. Lachend schaute er zu Marcus. »Los, Mr. Sherbrook, sagen Sie es ihm. Sie haben meine Tiere gesehen. Und Sie haben gesagt, sie hätten Ihnen gefallen.«
Marcus lächelte und klopfte Adrian auf die Schulter, wobei er sagte: »Achte nicht weiter auf ihn. Mein Cousin hatte schon immer eine sehr hohe Meinung von seiner Meinung, selbst wenn niemand ihm zustimmt.«
Julian lachte. »Ein Treffer! Glückwunsch, Marcus. Selten kann man mit einem Hieb durch Charles’ Deckung gelangen.«
Lächelnd winkte Charles Nell und Daphne zur Tür. »Wisst ihr«, bemerkte er mit halblauter Stimme, »mir ist gerade erst wieder aufgefallen, weshalb ich die Gesellschaft schöner Frauen genieße: Sie wissen mich zu schätzen.«
Lachend verließen sie zusammen die Bibliothek und begaben sich zum vorderen Salon. Dort warteten April und Miss Kettle schon auf sie.
Fröhlich wurden Begrüßungen ausgetauscht, und alle schwatzten durcheinander, die Herren standen, die Damen saßen. Die Unterhaltung war lebhaft und wurde dann ruhiger, als Daphne den Fehler beging, ihren Bruder zu fragen: »Du hast vorhin zu mir gesagt, du suchtest
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