Woge der Begierde
verkniff sich ein Lächeln. Er hatte nachgegeben, aber sie ließ sich dadurch nicht täuschen - sobald sie den Speisesalon wieder verließen, würde er darauf bestehen, die Entdeckung zu besichtigen.
Das Gewitter, das den ganzen Tag schon in der Ferne gegrollt hatte, zog heran, und sogar innerhalb der dicken Mauern von Beaumont Place konnte man das Heulen des Windes und das Prasseln des Regens hören. Donner dröhnte über ihnen, und Blitze zuckten knisternd über den Himmel.
Es hatte außer Frage gestanden, dass die Herren über ihrem Portwein im Speisezimmer verweilten. Die Damen hatten kaum im vorderen Salon Platz genommen, und Daphne hatte gerade erst Tee ausgeschenkt, als Adrian und die anderen schon zu ihnen stießen.
Als ob sie vorhin nicht unterbrochen worden wären, kam Adrian zu seiner Schwester und stellte sich vor sie. Seine blauen Augen leuchteten vor Aufregung, während er erklärte: »Können wir jetzt bitte die Treppe sehen?«
»Oh ja, bitte, Daffy!«, stimmte April ein und setzte ihre Teetasse ab. »Bitte! Es ist eine so herrliche Entdeckung, und es ist unfair, wenn du sie nicht mit uns teilen willst.«
Daphne zögerte. Sie wusste, dass sie die Treppe bald genug sehen würden, aber sie fragte sich, ob diese Nacht die beste Zeit dafür war. Das Unwetter bereitete ihr Sorgen, erinnerte sie zu lebhaft an die Nacht, in der ihnen Sir Wesley erschienen war. Sie warf einen argwöhnischen Blick auf das fröhlich flackernde Feuer im Kamin und war froh, dass sie hier in diesem Zimmer waren, weit genug entfernt von dem Blauen Salon.
Entschlossen schob sie alle Erinnerungen an Sir Wesley beiseite; das Unwetter war ihr ebenfalls nicht geheuer. Die Treppe befand sich in dem ältesten Teil des Hauses - wer konnte schon sagen, wie sicher es dort war? Und die Vorstellung, dass ihr Bruder und ihre Schwester unbekümmert die Treppe hinauf- und wieder herabstiegen, während ein Unwetter um das Haus tobte, beunruhigte sie. Regen konnte bis auf die engen und schmalen Stufen gelangen, sodass sie glatt und gefährlich rutschig wurden. Was, wenn der Sturm einen nicht mehr festen Teil der äußeren Wand einriss? Oder der Blitz einschlug?
Ein schauerlich lauter Donner dröhnte über ihren Häuptern, sodass Daphne zusammenzuckte. Sie stellte ihre Tasse samt Untertasse ab und sagte: »Denkt ihr nicht auch, es wäre besser, bis morgen zu warten, bis das Unwetter vorübergezogen ist, ehe wir die Treppe weiter erkunden? Es könnte jetzt dort gefährlich sein, wenn wir uns nicht erst davon überzeugt haben, dass die Stufen sicher sind. Charles und ich sind nur auf einem kleinen Teil oben gewesen, und das auch nur kurz - es könnten alle möglichen Gefahren dort lauern. Ich denke, wir sollten warten.«
Adrian und April wollten davon jedoch nichts wissen und bettelten beide wie kleine Kinder, denen man eine versprochene Belohnung vorenthielt. Daphne beharrte auf ihrem
Standpunkt, und Miss Kettle stellte sich auf ihre Seite, aber alles vergebens. Adrian und April blieben fest - sie wollten die Geheimtür und die Treppe dahinter sehen, und zwar in dieser Nacht.
Charles machte der Debatte ein Ende, indem er sagte: »Eure Schwester hat recht mit ihren Bedenken, wenn wir alle uns auf der Treppe drängen - es könnte wirklich gefährlich sein, und das Gewitter draußen macht es nicht besser.« Mit einem leisen Lachen über Adrians aufmüpfige Miene fügte er dann jedoch hinzu: »Allerdings kann ich nicht erkennen, was dagegen spricht, wenn wir Herren noch heute Nacht kurz einen Blick darauf werfen. Ich würde sie mir gerne noch einmal ansehen.« Er schaute zu Julian und Marcus. »Ihr nicht?«
Adrians Freudenschrei übertönte Daphnes Einwände. Wie es aussah, war ihr Gatte ebenso verrückt nach Abenteuern wie ihr Bruder. Julians und Marcus’ sofortige Zustimmung machte deutlich, dass dieses Laster ein Familienmerkmal war.
»Und was ist mit uns?«, wollte Daphne wissen. »Sollen wir einfach hier sitzen, Tee trinken und abwarten, während ihr die Treppe erkundet? Vielleicht sogar Leib und Leben riskiert?«
»Hier bleiben? Ganz gewiss nicht!« Charles grinste sie an. »Ich dachte, wir könnten uns alle in dein Schlafzimmer begeben. Während wir Männer … äh … Leib und Leben riskieren, könnten die Damen die Tür betrachten, die du so klug entdeckt hast.«
Daphne, Nell und April erhoben heftig Einspruch, aber die Herren behaupteten sich, sodass alle bald darauf in Daphnes Schlafzimmer versammelt waren und auf die
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