Woge der Begierde
Beaumonts. Zum ersten Mal, solange sie zurückdenken
konnten, spielte Geld keine Rolle, und sie gaben es großzügig füreinander aus, ja waren dabei sogar ein bisschen unvernünftig. Sie luden ihre Pächter und deren Familien ein und beschenkten sie ebenfalls großzügig, wie ihre neuen Freunde auch. Ansonsten warfen sie sich begeistert in die Veranstaltungsreihe aus Abendgesellschaften und Bällen, die in den Häusern der Umgebung abgehalten wurden. Und auch die Zahl der Dienstboten erhöhte sich: Adrian stellte einen Kammerdiener ein sowie Kammerzofen für seine Schwestern.
Aber am besten war die Ankunft ihrer geliebten Ketty an einem kalten Abend Ende Dezember. In dem Augenblick, da sie Daphnes Brief erhalten hatte, erklärte Ketty, hatte sie gekündigt und Pläne geschmiedet für ihre Reise nach Cornwall. Als sie die rundliche kleine Frau verwundert in der prächtigen Eingangshalle stehen sah, hatte Daphne plötzlich einen Kloß im Hals. Ketty hatte ihren alten braunen Umhang an, ihr rotbraunes Haar lugte unter dem abgetragenen Filzhut hervor und in den Händen hielt sie fadenscheinige hellbraune Handschuhe, während sie sich mit großen Augen umschaute.
Dann füllten sich ihre blassblauen Augen mit Tränen. »Der Himmel hat meine Gebete erhört«, erklärte sie. »Ich habe immer wieder gebetet für meine drei kleinen Vögelchen, dass sie in Sicherheit sind und wieder mit mir zusammen. Und nun sieh sich einer dieses herrliche Haus an.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wo mir der Kopf steht!« Sie blickte zu Adrian. »Und schau nur, Sir Adrian, wie ein junger Lord gekleidet, so elegant. Himmel, ich könnte dir auf der Straße begegnen und würde meinen lieben kleinen Jungen nicht erkennen. Nie in meinen kühnsten Träumen hätte ich mit so etwas gerechnet.«
»Es ist kein Traum, Ketty«, rief Adrian lachend und hob sie hoch, wirbelte mit ihr durch die Halle. »Es ist ein Wunder.«
»Jetzt stell mich ab, Sir Adrian. So benimmt sich ein anständiger junger Mann nicht«, schalt sie ihn, war aber sichtlich geschmeichelt. »Wo hast du nur solche Manieren gelernt? Bei mir gewiss nicht!«
Adrian grinste nur, gehorchte aber und stellte sie wieder hin. Sobald sie mit beiden Beinen auf dem Boden stand, schaute Ketty zu Daphne und April. Wieder stiegen ihr Tränen in die Augen, und sie tastete nach ihrem Taschentuch, steckte ihre Nase hinein, während sie schluchzte: »Oh, ich hätte nie gedacht, meine süßen Täubchen je wiederzusehen. Ich habe mir solche Sorgen um euch gemacht, ganz allein auf der Welt, wusste gar nicht, was die Zukunft für euch bereithielt.«
April lief zu ihr und schloss sie in die Arme. »Liebe Ketty, wir sind ja so froh, dass du hier bist. Ich habe dich so vermisst.«
»Und ich dich.« Ketty seufzte aus tiefster Seele. »Der Herr ist gütig.«
»Allerdings, das ist Er«, pflichtete ihr Daphne bei und trat zu Ketty, um sie auf die Wange zu küssen. In ihr abgearbeitetes Gesicht schauend fügte sie hinzu: »Er hat uns unsere liebe, liebe Ketty zurückgebracht.«
Mit Miss Kettles Ankunft waren sie wieder komplett und der Wechsel ihrer Lebensumstände war abgeschlossen. Als es schließlich langsam Ende Januar wurde und Miss Kettle sich ebenfalls eingelebt hatte, sie liebevoll schimpfte und umsorgte, fühlten sie sich auf Beaumont Place uneingeschränkt wohl. Eines Morgens, während Daphne aus dem Fenster der Bibliothek in den sonnigen Januarmorgen
schaute, schien es ihr, als hätten sie immer schon hier gelebt. Die Vergangenheit erscheint fast wie ein schlechter Traum, überlegte sie und nippte von der Tasse frisch eingeschenkten Tees. Keine Sorgen mehr, keine Nöte.
Der Tag war so schön, dass Daphne Adrians Drängen, einen Ausflug zum Strand zu machen, nachgab. Zusätzlich zu den Pachthöfen in den langen engen Tälern und Senken im Gelände vom höher gelegenen Moor zum Meer gehörte zu dem Beaumont-Land auch ein Stück Strand am wellengepeitschten englischen Kanal. Die Felsklippen entlang der Küste waren durchsetzt mit Einschnitten und Höhlen, und sie hatten schon von Schmugglern gehört, die sie benutzen sollten. Die Strandabschnitte waren schmal und schlängelten sich wie ein dünnes Band um die Klippen, hie und da unterbrochen von großen Felsbrocken, die in die schäumende Brandung gestürzt waren. Es war ein durchaus gefährlicher Ort, aber in seiner wilden Schönheit übte er einen unwiderstehlichen Reiz aus.
Es gab einen schmalen gewundenen Pfad, mehr ein
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