Woge der Begierde
liederlich? Sie runzelte die Stirn, da ihr keine der beiden Möglichkeiten zusagte.
Mrs. Darbys leichtes Räuspern brachte Daphne zurück in die Gegenwart.
Sie blickte die ältere Frau neben sich an, worauf Mrs. Darby leise fragte: »Soll ich anfangen?«
Daphne sah die erwartungsvollen Gesichter ihrer Geschwister und nickte. »Ja, natürlich. Bitte beginnen Sie.«
Mrs. Darby lächelte. »Ich glaube, ich fange mit der Sage um Black Beaumont an.«
» Black Beaumont? Das muss ein übler Bursche gewesen sein«, warf Adrian ein.
»Oh, das war er«, erklärte Anne Darby mit einem Funkeln in den Augen. »Sehr sogar. Man erzählt sich hinter vorgehaltener Hand, dass er in den Tagen von König John, als König Richard Löwenherz auf Kreuzzug war, sich die Frau eines anderen Mannes genommen haben soll …«
9
D ie Worte hatten kaum Anne Darbys Lippen verlassen, als Miss Kettle mit einem glühenden Blick zu Daphne einschritt. »Ich muss Einspruch erheben. Ich glaube nicht, dass Miss April sich solch ungehörigen Unsinn anhören sollte.«
»Oh, liebe Ketty, sag so etwas nicht«, flehte April. »Ich habe die Sagen von König Arthur schon gelesen. Ich weiß alles über Sir Lancelot und Königin Guinevere. Das hier ist sicher nicht viel anders.«
»Das ist es wirklich nicht«, stimmte ihr Daphne zu. »Und ich denke, du vergisst, dass April in ein paar Monaten siebzehn wird. Während sie für uns immer das Baby der Familie bleiben wird, wird sie doch langsam erwachsen. Sie ist nun eine junge Dame, und ich halte es für unfair, sie ins Schulzimmer zu verbannen.« Besänftigend fügte sie hinzu: »Es ist ja nur eine Sage, eine Geschichte. Es kann nicht schaden, wenn sie sich sie anhört. Und wenn zu irgendeinem Zeitpunkt das Thema unpassend wird, bitte ich einfach Mrs. Darby aufzuhören.« Ohne Miss Kettle die Chance einer Erwiderung zu gewähren, wandte sie sich lächelnd an Mrs. Darby. »Würden Sie bitte mit Ihrer Erzählung beginnen?«
Während Mrs. Darby sprach, beobachtete Charles leicht amüsiert, wie Daphne, Adrian und April gebannt lauschten. Die Black Beaumont-Sage war genau das, was er erwartet hatte - die junge und schöne Blythe wurde ihrem Ehemann
von einem gefährlichen Schuft gestohlen, eben Black Beaumont. Blythes wesentlich älterer Gemahl starb, natürlich an gebrochenem Herzen und innerhalb von Wochen nach Beaumonts verabscheuenswürdiger Tat, Blythes Namen auf den Lippen. In Wahrheit, vermutete Charles, war der Ehemann an Altersschwäche gestorben, und Blythe war mehr als froh, ihn gegen einen jungen starken Krieger wie Black Beaumont einzutauschen. Er lächelte, als Mrs. Darby zum Ende der Geschichte kam: Nach dem Tod ihres Gatten heiratete Blythe Black Beaumont und lebte glücklich und zufrieden mit ihm bis an ihr Lebensende.
Als die Geschichte zu Ende ging, bemerkte Charles, dass Daphne enttäuscht aussah. Was hatte sie erwartet? Dass Blythe Beaumont erstach und postwendend zu ihrem Ehemann zurückkehrte? Seine Lippen zuckten. Wesentlich wahrscheinlicher war, dass sie so ein Ende vorgezogen hätte.
Doch da irrte Charles. Daphne hatte an der Geschichte, die Mrs. Darby erzählt hatte, nichts auszusetzen, aber sie war enttäuscht, dass die Geschichte von Black Beaumont keine Verbindung zu der seltsamen Erscheinung zu haben schien, deren Zeuge sie geworden war. Sie seufzte. Sie wusste, es war unwahrscheinlich, dass sie das Glück hatte, Antworten auf ihre Fragen so leicht zu finden, dennoch war sie insgeheim unzufrieden.
Ihr Verlangen, mehr über die Vergangenheit der Familie Beaumont zu erfahren, war drängender geworden - Adrians und Aprils Erwähnung des Weinens im Wind bereitete ihr Sorge. Es war eine Sache, plötzlich selbst einem Gespenst gegenüberzustehen, aber eine völlig andere, wenn ihr Bruder und ihre Schwester gestört wurden, und sei es nur durch Windgeräusche. Ihre Bemerkungen hatten ihrer
wachsenden Sorge neue Nahrung gegeben, dass es etwas gab, was auf den Fluren von Beaumont Place sein Unwesen trieb. Was auch immer es sein mag, gut oder böse, dachte sie entschlossen, ich werde es entdecken und dafür sorgen, dass es verschwindet.
Die Papiere und Akten des Vikars hatten bislang wenig enthüllt, was hilfreich gewesen wäre. Daphne wusste, dass sie bei weiterem Studium das erfahren könnte, was sie wissen wollte, aber ihr Instinkt sagte ihr, dass sie auch ebenso leicht übersehen konnte, was sie suchte. Vorfahren, gestand sie sich niedergeschlagen ein, hatten die Angewohnheit,
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