Wogen der Liebe
viel gegessen wie heute habe ich lange nicht«, flüsterte sie. »Fühl mal meinen dicken Bauch.«
»Hm.« Viviane zog sich die Decke über die Schultern. Der warme Körper der Kleinen neben ihr wirkte beruhigend. Schon bald verrieten die gleichmäßigen Atemzüge der Mägde, dass sie eingeschlafen waren. Doch in Vivianes Kopf schwirrten die vielen fremden Eindrücke wie Bienen herum.
»Schläfst du schon?«, fragte Viviane leise.
»Ja«, gab Raudaborsti schlaftrunken zurück.
»Ich glaube, dieser Hoskuld gönnt Thoralf seine Braut nicht.«
Raudaborstis Kopf fuhr herum. Augenblicklich war sie wieder putzmunter. »Wie kommst du darauf?«
»Pssst! Ich habe beobachtet, wie er Gunnardviga anstarrte.«
»Sie ist sehr schön. Viele Männer starren sie an. Thoralf fühlt sich sicher geschmeichelt, wenn seine Braut bewundert wird. Was stört dich daran?«
»Ich weiß nicht. Es war dieser Blick. Später hat er mit einem jungen Mann vor dem Haus gestanden, und sie haben immer wieder miteinander gesprochen, leise und eindringlich, als wenn Hoskuld ihn zu etwas drängen wollte.«
Raudaborsti schwieg einen Augenblick. »Das bildest du dir nur ein«, sagte sie dann. »Der andere Mann war Sven, sein ständiger Begleiter und Kampfgefährte. Man sagt, sie sind von der gleichen Amme genährt worden. Hoskulds Mutter starb bei seiner Geburt.« Sie gähnte herzhaft. »Dir ist vieles fremd bei uns, deshalb vermutest du hinter allem etwas Böses. Ragnvald und Björgolf sind miteinander befreundet und sie laden sich gegenseitig zur Jagd ein.« Raudaborstis Gähnen steckte an. Vivianes Lider wurden schwer. Kurz darauf war auch sie eingeschlafen.
Ein seltsamer Traum nahm sie gefangen. Sie befand sich in der dämmrigen Tiefe eines dichten Waldes. Viviane fühlte einen beklemmenden Druck auf der Brust. Sie fürchtete sich. Sie kannte keinen Wald. Auf ihrer Insel gab es keinen, nur lichte Eichenhaine. Sie blickte sich um. Von irgendwoher drangen Stimmen an ihr Ohr, leise, kaum verständlich. Angst und Neugier kämpften miteinander. Schließlich überwand sie sich, tastete sich mit ausgestreckten Armen vorwärts. Es wurde etwas heller, sie bemerkte zwischen den Bäumen ein großes Haus, das dem von Björgolf Einbein glich, aber doch anders war. Über dem Eingang hing ein Hirschschädel mit einem mächtigen Geweih, darunter standen drei Männer und diskutierten heftig miteinander. Viviane erkannte sie. Es waren Asgeir, Sven und Hoskuld. Der Disput artete in einen Streit aus. Doch plötzlich war es still. Zu Füßen der Männer lag ein großer Berg von Gold. Die drei begannen zu tanzen, umkreisten den Goldschatz. Dann nahm Hoskuld den goldenen Hammer in die Hand, schwang ihn über seinem Kopf und lachte diabolisch. Viviane erschrak. Die Angst kehrte zurück. Was hatte der Mann vor?
Eine vierte Gestalt trat hinzu. Es war Gunnardviga. Auch sie tanzte in dem unheimlichen Reigen um das Gold.
Wie aus dem Nichts erschien Thoralf. »Komm zu mir, du bist meine Braut«, rief er. Gunnardviga lachte laut und warf den Kopf in den Nacken.
Viviane bemerkte, dass ihr Kleid golden wurde. Sogar ihre Haut, ihr Haar verfärbten sich golden. Die drei Männer schienen nicht beeindruckt, tanzten immer weiter. Hoskuld zog Gunnardviga an sich. Sie ließ es sich gefallen. Thoralf wollte sie packen, doch plötzlich hob Hoskuld den goldenen Hammer, schwang ihn in der Luft und ließ ihn auf Thoralfs Kopf fallen. Wie vom Blitz getroffen, fiel Thoralf nieder. Blut sickerte aus einer grässlichen Wunde. »Nein!« Verzweifelt schrie Viviane auf. Doch niemand half ihm, und Gunnardviga lachte und lachte.
Erschrocken fuhr Viviane von ihrem Lager auf und blickte sich um. Sie befand sich noch immer in der Hütte. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, und kleine Schweißperlen bedeckten ihr Gesicht. Neben ihr schlief Raudaborsti friedlich.
Vorsichtig schob Viviane ihre Decke beiseite, rappelte sich auf und trat vor die Hütte. Die kühle Nachtluft trocknete den Schweiß. Sie atmete tief durch und schalt sich eine Närrin, dass ein Traum sie so ängstigte. Schon wollte sie sich umdrehen, um wieder in die Hütte zu gehen, da sah sie einen dunklen Schatten zwischen den Hütten hindurchhuschen. Es gab Wachen, Fackeln erhellten die Palisaden, und das große Tor war geschlossen. Ein Hund kläffte kurz auf. Viviane rieb sich die Augen. Sie vermutete, dass sie sich geirrt hatte. Doch dann entdeckte sie die Gestalt wieder. Lautlos bewegte sie sich in den hinteren Bereich des
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